Geschichts- und Literaturunterricht in seiner schönsten Form!

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Berlin in den goldenen Zwanzigern - die vier Freunde Johannes, Robert, Ilse und Luise sowie ihr stilles Anhängsel aus dem Hinterhaus, Ella, sind zusammen aufgewachsen. Ihre Lebensläufe haben sich durch den Ersten Weltkrieg getrennt, aber die spannungsreiche Zeit der Weimarer Republik bringt sie einander wieder näher, in Liebe, Eifersucht, Freundschaft und Verrat.
Anhand dieser fünf Lebensausschnitte ersteht das Berlin der Zeit um die Jahrhundertwende bis hin zum Aufstieg der Nationalsozialisten dem Leser lebendig vor Augen.
Dadurch dass diese Lebensläufe so unterschiedlich sind und uns in ganz verschiedene soziale Schichten, aber auch in ganz unterschiedliche Milieus führen, eröffnet sich dem Leser die ganze Spannbreite damaligen Lebens, und es wird nie langweilig: Da ist Johannes, der verspätete versehrte Kriegsheimkehrer, der nicht mehr in sein altes gut bürgerliches Leben zurückfindet, sondern als Kioskbesitzer einen ganz neuen Lebensentwurf für sich entwickelt; Robert, einst sein bester Freund, der - auch ehemaliger Soldat - recht erfolgreich an sein Vorkriegsleben anschließen kann und als Architekt erfolgreich ist; Ilse, die Schwester von Johannes, die als Modeschöpferin und eher den Frauen als den Männern zugeneigt den Leser mitnimmt in die buntschillernde, aber auch sündige Berliner Nacht- und Nebenwelt der Varietés und Kinos; und Luise, die Frau zwischen Johannes und Robert, die sich schließlich für Robert entscheidet und sich damit auch entscheiden muss für Beruf oder Familie; und zu guter letzt Ella aus dem Hinterhof, die sich mit ihrem unehelichen Sohn durchschlagen muss, nachdem sie seinetwegen ihrer Anstellung als Verkäuferin verloren hat und nun auf die Hilfe ihres kleinkriminellen Bruders Paul angewiesen ist. Die Figuren gehen auf jeden Fall zu Herzen, jede ist auf ihre Weise sympathisch, hat Stärken und Schwächen und nimmt den Leser mit auf diese turbulente Lesereise. Manchmal sind die Verwicklungen und Schicksalsschläge allerdings doch ein wenig zu dramatisch und "ein wenig drüber". Die Unterhaltung hätte auch ohne das ganz große Drama gut funktioniert, was aber verzeihlich ist angesichts der großen Stärke dieses Romans: Eine Vielzahl an historischen und kulturell bedeutenden Personen aus Literatur, Musik, Kino, Varieté, Lifestyle, Sport und Politik bevölkern den Roman und gestalten ein anschauliches Panorama der Zeit. Man lernt viel, erfährt Neues oder entdeckt Bekanntes wieder: die Künstlersalons in Berlin, das schillernde Nachtleben, das uns zeigt, das Diversität kein ganz so aktuelles Thema ist, wie man denken könnte, die Comedian Harmonists, die Rennstrecke Avus, aber auch die politischen Unruhen der Weimarer Republik, die schnell wechselnden Reichskanzler, die Auseinandersetzung zwischen Roten und Braunen, aber auch die immer wieder eingestreuten Rückblicke in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs und auf die Situation der hungernden Bevölkerung zu Hause, die Arbeitslosigkeit, die Armenküchen, Obdachlosenheime usw. vermitteln ein für einen Unterhaltungsroman außerordentlich differenziertes, gut recherchiertes und fundiertes Bild der Epoche. Eine gelungene Lehrstunde in Sachen Zeit- und Kulturgeschichte, die auf unterhaltsame Art mehr Wissen als so mache Geschichtsstunde zu vermitteln vermag!