Roman oder Geschichtsunterricht

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steineinhorn Avatar

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Der Roman ,,Novembersturm- Berlin Friedrichstraße" von Ulrike Schweikert ist der erste Band einer Familien Saga. Er erschien am 14 September 2021 im rowohlt Polaris Verlag.

Das Cover gefällt mir Optisch und Haptisch sehr gut.

Es geht um die unzertrennlichen Jugendfreunde Johannes, Ilse ,Robert und Luise und dann ist da noch deren anhängsel Ella Weber aus dem ,,Hinterhaus". Durch den ersten Weltkrieg getrennt und gebeutelt fügt sich alles wieder zusammen aber nicht so wie ursprünglich geplant.

Man muss sich bei lesen wirklich Konzentrieren um die Familien- und Zusammenhänge zu verstehen.
Luise,Ilse und Ella waren mir sofort Sympathisch. Drei Frauen die unterschiedlicher nicht sein können. Es sind starke Frauen mit ganz unterschiedlichen Vorraussetzungen. Sie meistern jede auf ihre Art ihr Leben und müssen während und nach dem Krieg Opfer bringen um sich und ihre lieben durch zu bringen.
Es fällt mir nicht leicht diese Rezension zu schreiben ohne zu viel zu verraten , denn es werden so viele Themen aufgegriffen. Ilses Sexuelle orientierung die zu der damaligen Zeit noch nicht offen ausgesprochen wurde. Die posttraumatischen belastungstörungen der Kriegsveteranen. In diesem Fall plagen sie Johannes und Robert, die Nachts schreiend und von Albträumen geplagt aufwachen. Wie dicht Armut und Reichtum beieinander liegen, Alle vier aus dem Vorderhaus und Ella und Paul aus dem Hinterhaus.
Das sind nur einige Beispiele. Die Autorin sagt zum Schluß das sie versucht hat alle Facetten der ,,goldenen und Wilden 20iger " einzufange und zu beschreiben. Das ist ihr sehr gut gelungen. Sie sind gut in die Geschichte eingebettet und werden jede für sich authentisch dargestellt. Obwohl sich die Autorin hier möglicherweise auch einigen Klischees bedient. Muss immer der aus dem Hinterhaus sein Geld mit zwielichtigen Menschen und Machenschaften verdienen und sind es wirklich immer die aus dem Vorderhaus die sich in Theater und Kultur verlieren. Lassen wird das mal so stehen.
Beeindruckend fand ich die Namen der Künstlerszene, in die Ilse unerwartet reinstolpert. Man kommt fast nicht drum rum sie zu beneiden , mit wem sie alles bekannt gemacht wurde. Natürlich sind Namen wie Marlene Dietrich oder Erich Kästner ein Begriff, aber mir waren deren Anfänge in den 20igern nicht so bewusst
Doch leider konnte das alles die Geschichte doch nicht so auflockern , wie sie es meiner Meinung nach Nötig hätte. Ich möchte nicht unbedingt sagen das ich mich gelangweilt habe, aber ich fühlte mich auf Grund der vielen geschichtlichen Beschreibungen und Fakten, an denen man zugegeben nichts ändern kann, an einen eher etwas trockenen Geschichtsunterricht aus Schulzeiten zurück erinnert, und weniger an einen Roman.
Desweiteren fragte ich mich die ganze Zeit was es den nun mit dem Bau/Umbau des Bahnhofs auf sich hat. Laut dem Klappentext habe ich erwartet das es in der Hauptsache darum geht, doch das und der Bau der U-Bahn wird immer nur am Rande erwähnt.
Zum schluß kommt dann noch mal etwas dramatik ins Spiel, aber da ist es schon fast zu spät, als das sich die Meinung zu dem Buch oder zu Robert insbesonderem noch ändern würde.
Was mir erst im nachhinein klar wird wie sehr es mich stört das viele Themen nur wie eingeschoben wirken. Die Autorin beschreibt detailliert Szenen die abrupt enden und über die nie wieder ein Wort verloren wird.
Bei der Anzahl der Seiten hätte man dafür gut und gerne etwas geschichte weglassen können, um dort das eine oder andere mehr zu erklären.
Weiter möchte ich auch noch die Gliederung der Kapitel ansprechen und den, bei Ella und Paul, benutzen Berliner Dialekt. Beides ist nur meinem persönlichen Geschmack geschuldet, aber es hat meinen Lesefluß erheblich gestört, so das ich mich im Verlauf wirklich darüber geärgert hab.

In diesem Buch habe ich drei lieblingscharaktere:
Ilse weil sie ist wie sie ist und ich sie gerne zur Freundin hätte.

Johannes weil er der rettende Engel für alles und jeden ist unabhängig von seinen eigenen Gefühlen.
Und Ella weil sie so prakmatisch ist ohne daran kaputt zu gehen. Sie bringt Opfer für andere ohne großes aufheben drum zu machen.

Das alles klingt negativer als es gemeint ist, trotz allem hat mich das Buch kurzweilig gut unterhalten und der Schreibstil der Autorin lässt sich flüssig lesen.
Aber fakt ist auch, das ich den zweiten Band bestimmt lesen werde, in der Hoffnung weniger Geschichte zu haben und dafür mehr von den losen Fäden zu lesen bekomme.
Aber ich fiebere ihm nicht in gespannter Erwartung entgegen und muss ihn schon morgen in den Händen halten.
Zu diesem Buch kann ich leider keine uneingeschränkte Kaufempfehlung aussprechen ,weil es doch zu viele Sachen gab die mich gestört haben.
Wer aber über die Anfänge von Hitler lesen möchte mit ein bisschen Romanhandlung ,der ist mit diesem Buch bestimmt gut beraten.