Kann man verzeihen?

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lale1972 Avatar

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Die Leseprobe von "Nur einen Horizont entfernt" von Lori Nelson Spielman hat mir sehr gut gefallen. Hannah, Moderatorin, bekam vor längerer Zeit einen Beutel mit zwei Steinchen darin. Verbunden damit war die Bitte einer ehemaligen Mitschülerin, ihr ihr damaliges Verhalten zu verzeihen. Zu schmerzhaft aber war die Erinnerung und so verschwand der Beutel in der Tiefe ihrer Schublade. Nun hat die ehemalige Mitschülerin ein Buch darüber geschrieben, über das Aufräumen in ihrem Leben und das Bitten um Verzeihung, ist in aller Munde. Hannah nutzt die Chance und erarbeitet ein Konzept für eine neue Sendung mit ihr und ihrer Idee des Verzeihens im Mittelpunkt. Dafür muss sie sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen und wird immer tiefer hineingezogen in die Mischung aus Erinnerung und tatsächlicher Vergangenheit.
Die Thematik finde ich eine tolle Idee, aber auch sehr schwierig. Die Frage hinter der ganzen Geschichte ist ja, kann man wirklich verzeihen? Oder kann man nur darüber reden und das Thema dann verbannen. Was ist, wenn eine ähnliche Situation wieder auftaucht? Hat die Freundschaft, die Liebe dann Bestand? Zum Beispiel Hannah und ihr Ex-Verlobter Jackson. Er hat sie einmalig betrogen, wie er behauptet. Sie hat die Verlobung gelöst, die Beziehung beendet. Aber verzeihen? Wäre sie mit ihm zusammen geblieben, bei der kleinsten Ungereimtheit hätte sie ihm misstraut. Und verzeihen, wenn jeder seinen eigenen Weg geht? Auch schwierig. Der Neue übernimmt erst mal das Misstrauen, muss sich das Vertrauen erarbeiten. Wenn alles wunderbar läuft, und sie glücklich ist, kann sie vielleicht irgendwann auch dem Ex richtig verzeihen. Sollte der Neue aber irgendwann in die alte Wunde treten und sie auch betrügen, wäre Verzeihung gegenüber dem Ex auch fast nicht möglich. Die Psyche ist da nicht leicht zu überlisten, glaube ich. Und das ist ja nur ein ganz einfaches Beispiel von Verzeihen. Es gibt ja noch viel kompliziertere Fälle, wenn die Tat, die zu verzeihen wäre, noch größere Kreise gezogen hat. Hannah wirft der Mitschülerin vor, dass das Mobbing nicht nur sie getroffen hat, sondern dass deshalb ihre ganze Familie zerbrochen ist. An diesem Familienbruch wiederum hängt aber auch ihr Schuldgefühl gegenüber ihrer Mutter, dass sich ja erst durch die Trennung und ihr Verhalten einstellen konnte. Das Ganze ist wie ein Rattenschwanz im ungünstigsten Fall.
Durch die Leseprobe habe ich mir natürlich auch Gedanken über mein Leben und meine Taten gemacht. Und natürlich bin ich nicht frei von Fehlern, aber ich habe die Angewohnheit, Fehler, die ich bemerke, sofort auszubügeln, soweit das möglich ist. Ich kann Fehler gut eingestehen und mich auch entschuldigen. So ziehen meine Fehler wenigsten keine langen Schwänze hinter sich her. Einmal allerdings hatten wir bei einem befreundeten Paar nicht an der Hochzeit teilgenommen, weil am Polterabend herauskam, dass sie mit einem anderen Paar ganz gemeine Sachen über uns erzählt hatten. Den Kontakt hatten wir daraufhin auch ganz abgebrochen. Aber das Thema kam immer wieder auf und so haben wir uns nach zwei Jahren mit ihnen getroffen und uns ausgesprochen, wobei sich beide Seiten entschuldigt haben. Die einen für den Auslöser und die anderen für die Unruhe am eigentlich schönsten Tag des Lebens. Wir sind immer noch Freunde, aber seitdem achte ich noch mehr darauf, keine Ruinen in meinem Leben zu hinterlassen. Würde mich aber jemand sehr verletzen, der mir sehr nahe steht, täte ich mich sehr viel schwerer mit Verzeihen, weiß auch nicht, ob ich das wirklich könnte. Die Leseprobe hat bewirkt, dass man sich sehr viel Gedanken um sein bisheriges und sein jetziges Leben macht, ich würde gerne weiterlesen um zu sehen, wie Hannah weitermacht.