Nur einen Horizont entfernt

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aoibheann Avatar

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Hannah Farr's Leben scheint für Außenstehende der Inbegriff des Glücks zu sein. Sie ist TV-Moderatorin und kann auf eine beeindruckende Karriere zurückblicken. Sie ist mit dem Bürgermeister von New Orleans liiert. Sie ist eine schöne, starke und moderne Frau. Und in ihrem Inneren dennoch unglücklich. Denn die Karriere erleidet gerade einen Knick und Hannah sieht sich mit einer jüngeren Kollegin konfrontiert. Der Mann, den sie liebt, schiebt Entscheidungen über eine gemeinsame Zukunft immer wieder vor sich her. Und die evtl. vielleicht Stieftochter Abbey macht ihr das Leben auch nicht gerade leichter und zeigt ihr ihre Abneigung mehr als deutlich. Als Hannah ein Jobangebot eines TV-Senders aus Chicago bekommt sieht sie darin ihre Chance. Doch wie soll sie auf sich aufmerksam machen? Da fällt ihr ein zwei Jahre alter Brief einer ehemaligen Klassenkameradin ein, die gerade selbst in aller Munde ist. Denn Fiona verschickt in ihren Briefen jeweils zwei "Versöhnungssteine". Sie bittet den Empfänger darum einen davon an sie zurückzuschicken, sofern dieser ihr vergeben hat bzw. kann. Dem zweiten Stein soll die Person einen weiteren hinzufügen und wieder jeweils mit einem Brief versehen an jemanden schicken, den er um Verzeihung bitten möchte. Hannah sieht darin eine Chance für ihre zukünftige Karriere. Bei einem Treffen mit ihrer ehemaligen Nachbarin und Freundin Dorothy, hält diese ihr den Spiel vor und verdeutlicht ihr, dass Vergebung von Herzen kommen muss und keine halbherzige Sache für die Kamera sein darf. Und, dass sie in sich gehen und sich mit ihrer Mutter aussöhnen soll.

Die Idee der Versöhnungssteine finde ich eine ganz wunderbare Idee! Worte sind schnell gesprochen, schnell dahingesagt, ohne sie vielleicht so zu meinen. Ein solcher Stein ist greifbar und der Angesprochene wird damit mehr oder weniger gezwungen sich mit dem geschehen Vorfall erneut auseinanderzusetzen. Sich zu erinnern und zu reflektieren. Mich hat die Leseprobe bereits sehr begeistert und ich bin wirklich wirklich gespannt, ob genauer beleuchtet wird wie es zu dem Bruch zwischen Hannah und ihrer Mutter kam und ob sich ihr Verhältnis kitten lässt.

Was mich zu der Frage an mich selbst kommen lässt: Was bedeutet für mich "verzeihen"? Verzeihen bedeutet für mich auch rückblickende Selbsterkenntnis. Wie lange liegt der Vorfall zurück, wem will ich verzeihen und aus welchem Grund? Dabei sollte man im Hinterkopf behalten, dass das eigene Gedächtnis einem manchmal kleine Streiche spielt und Episoden aus der Vergangenheit auch gerne mal in ein anderes Licht rückt. Mir ist zum Beispiel ähnliches während der letzten beiden Schuljahre widefahren. Mobbing. Es hat vielleicht nicht die Ehe meiner Eltern aufs Spiel gesetzt, aber es waren für mich zwei Jahre der Hölle, die bereits am Vorabend des nächsten Tages mit Magenschmerzen begannen und ihren Höhepunkt am nächsten Morgen mit Erbrechen hatten. Für mich was das schlimmste an der Geschichte, dass es sich bei dem Mädchen jahrelang um meine beste Freundin handelte. Um die Rädelsführerin habe ich auch die ersten Jahre nach der Schule einen großen Bogen gemacht und war definitiv nicht gut auf sie zu sprechen. Es vergingen wieder ein paar Jahre und wir trafen uns zufällig wieder. Und sie meinte eines Abends bei einem Glas Wein, dass es ihr sehr leid tue, was sie damals veranstaltet hätte und sie vom jetzigen Stand nicht einmal mehr sagen könne, was sie dazu angetrieben habe. Ich habe damals, vor diesem Abend, viel Zeit damit verbracht mir auszumalen was ich zu ihr sagen würde, sollte dieser Moment jemals kommen. Als es dann soweit war merkte ich, dass ich ihr gegenüber keinerlei Groll oder Rachegedanken hegte. Wir konnten uns aussprechen und den Abend mit den Worten "Vergeben und vergessen" abschließen. Die besten Freundinnen werden wir wohl nie mehr werden, aber ich freue mich aufrichtig wenn ich sie sehe und wir verabreden uns in unregelmäßigen Abständen.
Ich habe mich gefragt ob es richtig und gesund ist, einen Groll zu hegen auf eine Sache die nun mittlerweile über zehn Jahre her und die sich unter pubertierenden Teenagern abgespielt hat. Meine Antwort darauf war "Nein". Manche Sachen sind es nicht wert ewig warm gehalten zu werden. Ein Neuanfang kann eine sehr heilsame Sache sein. Dazu gehört für mich aber auch, dann nicht immer wieder auf dem Thema herumzureiten. Zu sagen "Ich verzeihe dir" und darüber offen zu reden - ja! Zu sagen "Ich verzeihe dir" und die Sache peinlich verschweigen und unter den Teppich kehren - nein. Zu sagen "Ich verzeihe dir" und immer wieder darauf herumreiten - ein ganz klares nein. Entweder man kann von Herzen vergeben (und nur dann wirkt es wirklich befreiend) oder man sollte es lieber bleiben lassen.

Diese wunderbar geschriebene und zum Nachdenken anregende Leseprobe erhält von mir volle 5 Sterne!