Verzeihung - eine große Geste

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nadines_buecher Avatar

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Das vermeintlich perfekte Leben der in New Orléans bekannten Fernsehmoderatorin Hannah Farr gerät scheinbar durcheinander, als sie das Angebot eines Chicagoer Fernsehsenders erhält, ein Exposé für eine eigene Talkshow einzureichen. Doch in Wahrheit brodeln einige ungeklärte Dinge unter der vermeintlich makellosen Oberfläche, die angestoßen durch das Jobangebot Hannahs geschminkte Oberfläche durchbrechen und zeigen, wie sensibel und verletzlich diese Frau, die jeden Tag für ihr Publikum vor den Bildschirmen lächelt, ist und welche persönliche Last sie mit sich herumträgt. Auf der Suche nach einem Thema für das Exposé und angeregt durch einen Zeitungsartikel besinnt sich Hannah auf den Brief, den sie bereits vor zwei Jahren von ihrer ehemaligen Mitschülerin Fiona Knowles, einer erfolgreichen Anwältin, Schriftstellerin und Initiatorin der Zorn- und Vergebenssteine, die mittlerweile in den USA sehr beliebt geworden sind, erhalten hat. Fiona bittet sie hierin, ihr das Mobbing gegenüber Hannah zu vergeben. Doch Hannah könnte das bisher nicht, denn sie ist davon überzeugt, dass sich ihre Eltern nicht getrennt hätten, wären gewisse von Fiona durchgeführte Aktionen nicht gestartet worden. Um ihrer Karriere Willen, und um ihren Freund Michael, Bürgermeister von New Orléans, doch noch zu einer Heirat zu bewegen, formuliert Hannah einen knappen Brief an Fiona, den sie mit dem Zornesstein an diese - medienwirksam - zurücksenden will. Den Vergeben-Stein bringt sie ihrer Freundin, die mittlerweile im Altenheim lebt, um sie um Verzeihung zu bitten, dass sie sie nicht Zuhause hat pflegen können. Doch die alte Dame, Mutter von Hannahs Ex-Freund Jackson, der sie betrogen und seither öfter vergeblich um Verzeihung gebeten hat, weist den Stein zurück und empfiehlt Hannah, stattdessen ihre Mutter um Verzeihung zu bitten, die sie seit 16 Jahren nicht gesehen hat. Dies fällt Hannah sehr schwer, denn die Mutter hatte den Vater für einen anderen Mann verlassen. Hannahs Vater, zum Alkoholiker geworden aber als charmanter Lebemann bekannt, ist inzwischen verstorben und kann der Tochter nicht mehr bestätigen, dass er das Umgangstecht hat ändern lassen und dass die Mutter ihr weiterhin Beiefe schrieb. Neben dem Verzeihen der Mutter erhält Hannah einen weiteren Rat von der Freundin, nämlich zu sagen was sie möchte. Gerade in Bezug auf ihren Freund Michael, der auf das Fernseh-Angebot so ganz anders reagiert als Hannah es erwartet. Anstelle dass er sie bittet zu bleiben, ist er begeistert vom Angebot und macht es ihr schmackhaft. Gerade, weil seine Tochter Abby Hannah nicht wirklich annimmt und sie scheinbar auch nicht als zweite Frau ihres Vaters sieht, egal wie viel Geduld Hannah ihr gegenüber an den Tag legt. Arme Hannah - keiner reagiert so, wie sie es erwartet oder möchte. Ist die Vergangenheitsbewältigung die einzige Möglichkeit, ihr Selbst zu finden? Plötzlich scheint es eine Reihe von Menschen zu geben, denen Vergebung und Zorn entgegengebracht werden sollte. Go, Hannah, möchte man sie anfeuern, auch wenn die Erfahrungen schmerzen werden.
Wie auch im Roman "Morgen kommt ein neuer Himmel" lernen wir die Ich-Erzählerin zunächst in ihrer glamourösen Welt kennen. Nach und nach erfahren wir jedoch, dass nur die Oberfläche perfekt erscheint, der Mensch dahinter problembelastet ist. Wie wird die Protagonistin den Lösungsweg beschreiten? Man mache sich auf eine emotionale Reise gefasst, bei der Taschentuch-Alarm herrschen wird. Jedoch wird man wieder eine Menge über Beziehungen lernen dürfen, Motive und ihre Auflösung. Die Autorin ist darin Meisterin ihres Fachs! Gewohnt gut lesbar, detailliert wo benötigt und mit fein skizzierten, sich entwickelnden Charakteren wartet sie auf.
Das Cover, da dem neuen Himmel-Cover sehr ähnlich, weist unverkennbar auf die Autorin hin, hat einen großen Wiedererkennungswert. Schön ist das Motiv des sich verbreitenden Löwenzahnsamens, das in der Leseprobe bereits erläutert wird. Ein Fallschirmsamen taucht als hübsches Motiv zu jedem Kapitelbeginn auf.

Für mich bedeutet Verzeihen viel mehr, als um Entschuldigung zu bitten. Man begibt sich in die Entscheidungsgewalt eines Menschen, muss dann mit dem Nicht-Verzeihen leben (können) oder darf sich am Verzeihen freuen. Beides sind Erfahrungen, die entweder den Charakter stärken oder/ und uns Narben verpassen. Beides gehört zu einem erfüllten Leben. Nur feige sein rächt sich.
Einen Vergeben-Stein würde ich meiner damaligen Abi-Schulfreundin schicken wollen, denn drei Jahre waren wir sehr gut befreundet, bis sich mein Abi-Stress dummer- und ungerechterweise ihr gegenüber entlud. Und das nur wegen einer Bemerkung, die sie unbedarft wegen des Lernens machte. Vielleicht finde ich nach dem Lesenund durch die Lektüre von "Nur einen Horizont entfernt" den Mut, der damaligen Freundin zu schreiben und sie mit einem Stein symbolisch um Verzeihung zu bitten. Vielleicht hilft es, dem Brief auch ein Exemplar des Buchs beizulegen. Eine mittlerweile 18 Jahre alt Last würde von mir genommen, so sie mir verzeihen könnte.