Beklemmende, hysterische Welt

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annajo Avatar

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220 Seiten, 4 Kapitel, 4 Beziehungen zu unterschiedlichen Männern. Dem Leser wird antichronologisch von Rins Leben erzählt: mit 22, 18, 16 und 15 Jahren. Es ist schwierig, die Handlung der Geschichte zusammenzufassen, da jedes Kapitel nur einen Ausschnitt des Lebens der Protagonistin darstellt und in sich keine wirklich abgeschlossene Handlung bietet, sondern immer mitten in der Beziehung bzw. eigentlich schon an dem Punkt, an dem die jeweilige Beziehung aus dem Ruder läuft, einsetzt. Konsistent sind lediglich Rins zunehmende Abhängigkeit vom jeweiligen Partner, ihre psychischen Probleme und ihre wachsende Eifersucht.
Anfags dachte ich, die Ausgangssituation im ersten Kapitel sei das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung, doch beim Lesen taten sich noch wesentlich krassere Szenen auf, sodass die erste Szene lediglich ein Einstieg und eine Beispielsituation darstellt. Jedoch geht es in diesem Buch - obwohl durch den Klappentext suggeriert - weniger um krankhafte Eifersucht als vielmehr um ein krankhaftes Persönlichkeitsmuster. Schon relativ früh drängte sich mir der Verdacht auf, dass Rin unter Borderline leidet. Darauf weisen die verschiedensten Symptome, die sich in ihrem Verhalten zeigen, hin: Promiskuität, Selbstverachtung, Schnitte an den Handgelenken. Auch das ständige Klammern an den und wieder Wegstoßen des Partners und der häufige Wechsel zwischen Liebe und Hass sind deutliche Anzeichen. Jetzt könnte man sagen, es sei doch interessant, tatsächlich mal in diese Welt einzutauchen und zu versuchen, Rins Verhalten nachzuvollziehen. Doch das ist für "gesunde" Menschen gar nicht so einfach und wahrscheinlich auch schwer zu verkraften. Ich habe mich in dieser Geschichte regelrecht klaustrophobisch gefühlt. Ich fand die Geschichte sehr beklemmend, weil man sich gar nicht mit dieser Handlungsweise der Protagonistin identifizieren kann, sondern als Leser ins Geschehen eingreifen will um sie zu schütteln, wenn man wieder eine Situation aufkommen sieht und schon vorab weiß, dass sie wieder eskalieren wird.
Zudem war mir die Protagonistin in ihrer Hysterie und ihren negativen Deutungsmustern völlig unsympathisch. Auch die Sprache und die Gedankenwelt waren ziemlich vulgär und teilweise weit hergeholt. Für mich tat sich auch schon früh ein Widerspruch auf: die Protagonistin ist Autorin und beschwert sich nach einem komplexen, höchst sinnvollen und poetischen Satz, sie könne nicht einmal dem Autorendasein angemessen sprechen. Das an sich war für mich schon ein Widerspruch. Aber auch, wenn man sich die Schulkarriere und die Leistungen in den späteren Kapiteln vor Augen hält, wirkt die Entwicklung zur Autorin unrealistisch.

Insgesamt blieb ich nach dem Lesen mit dem Gefühl zurück, dass so wie Betroffene von Borderline im wahren Leben sich und ihre Umwelt quälen, dieses Buch mich als Leser gequält hat. Allerdings kann ich mir gut vorstellen, dass Kanehara mit diesem Werk der Popliteratur sämtliche Kritikerpreise abräumen wird.