Escapism pur

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Irgendwie schon spooky, wie gut "Offene See" in die derzeitige Zeit/Lage passt. Ja, es geht im Buch über die Nachkriegszeit, aber eben auch um den Weg zurück zur Normalität nach einer Ausnahmesituation (Parallelen zur covid19 Pandemie sind da durchaus zu erkennen).

Die Schilderung der ungewöhnliche Freundschaft zwischen Robert, einem jungen naiven Mann aus der Arbeiterklasse, und Dulcie, einer privilegierten, unkonventionellen älteren Frau hat mich voll überzeugt und begeistert. Für mich ist aber die Landschaft der heimliche Star des Buches - ein Sehnsuchtsort, der durch das Buch hindurch gebührend gefeiert wird und sehr ausführlich, meistens poetisch und sehr bildhaft beschrieben wird. Ich habe zwischendurch des öfteren Lesepausen eingelegt und einfach von dem Punkt geträumt, an dem sich Meer und Horizont treffen. Erinnerungen an die Nordsee sind für mich immer auch Urlaub von dem alltäglichen Chaos.

Offene See hat sich zu meinem absoluten Lieblingsbuch unter den Neuerscheinungen des Frühjahrs entwickelt. Es ist ein leises Buch mit beeindruckender Beobachtungsgabe des Autors von Natur und Essen (!) und poetischer Sprache (wunderbar übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann). Ein Postulat für das Hinterfragen von Dogmen und Erwartungen und gegen populistischen Nationalismus, z.B. der Brexiteers.

Mein Lieblingssatz von Dulcie (man muss diese Frau einfach mögen): "Dieser impotente kleine Deutsche hat viele Dinge zerstört, aber nicht meine Teegewohnheiten."