Beeindruckend, berührend durch die Hoffnung auf Liebe und erhellend durch die Historie

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Olga Rinke lebt recht ärmlich bei ihrer Oma in Tilsit, Ostpreußen. Eine höhere Schulbildung wird ihr versagt, Mädchen werden nicht sonderlich gefördert. Also bringt sie sich vieles selber bei und kämpft bis sie Lehrerin ist. Mit den Kindern des Gutsherrn, ihrem besten Freund Herbert und dessen Schwester Viktoria, verlebt sie eine schöne Kindheit, doch als sie sich in Herbert verliebt, stehen die gesellschaftlichen Schranken gegen sie. Herbert zieht hinaus in den Krieg nach Afrika und später in die Arktis. Wird ihre Liebe doch noch siegen?


"Ich vermisse Dich bei allem, was wir gemeinsam gemacht haben und was ich jetzt alleine mache.“ Zitat Seite 165


Der Roman besteht aus drei Teilen. Zu Beginn erfahren wir relativ sachlich von Olgas Kindheit und ihrem weiteren Lebensweg, der geprägt ist von ihrer starken Willenskraft und ihrem Ehrgeiz, sich als Frau zu behaupten. Im zweiten Teil erzählt Ferdinand, wie er Olga als Näherin und Hilfe seiner Familie erlebt und gekannt hat. Im dritten Teil zeigen Briefe von Olga an Herbert von ihren starken Gefühlen, ihren Gedanken und unerfüllten Wünschen. Erst jetzt bekommt Olgas Charakter liebenswerte Züge und man kann sich ihr annähern.


Dabei ist das Interessante an diesem Buch, wie Bernhard Schlink die historischen Hintergründe geschickt einflechtet und Olgas und Herberts Leben dadurch auf eine ganz andere Ebene gehoben werden.


Die Figur der Olga ist eine kluge und menschliche Figur, bescheiden, unabhängig und kritisch und mit einem starken Willen ausgestattet. Aber vor allem lebt sie eine bedingungslose Liebe, die sie zeitlebens nie aufgibt.

Herbert ist dagegen ein ruheloser Mensch, der als Soldat im Kolonialkrieg im heutigen Namibia kämpft. Olga ist gegen diesen Kampf und sieht auch später im nationalsozialistischen Deutschland keinen Sinn dahinter. Sie erlebt beide Weltkriege mit, wird vertrieben, findet eine neue Heimat und bleibt sich zeitlebens ihrer Ideale treu.


Was anfangs nur als simple Liebesgeschichte erscheint, wird im Verlauf des 2. und 3. Teils immer klarer, fassbarer und immer intensiver und tiefer. Erst dann beginnt man zu ahnen, was hinter dieser Fassade von Olga verborgen blieb.


Der Sprachstil des Autors ist genau wie in "Der Vorleser" in kurzen, aber prägnanten Sätzen gehalten. Trotzdem offenbahrt sich durch die Hintergründe und historischen Beziehungen darin eine Erkenntnis und tiefe Wahrheit, die unter die Haut geht.



Beeindruckend durch die starke Frauenfigur, berührend durch die Hoffnung auf Liebe und erhellend durch den geschichtlichen Bezug. Ein Buch zum Nachdenken und zum Nacherleben der jeweiligen Zeitbezüge. Eine Hommage an all die Frauen Deutschlands, die unter dem Verzicht ihrer Hoffnungen gelebt haben.