Ein guter Anfang und ein gutes Ende machen noch lange kein gutes Buch

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evelynmartina Avatar

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"Olga", das neue Werk von Bernhard Schlink, zeigt die Lebensgeschichte einer Frau auf, die sich über beinahe hundert Jahre erstreckt.
Olga, das arme Mädchen, das am liebsten steht und schaut, und Herbert, der reiche Junge, der am liebsten rennt und sich nicht aufhalten lassen will, lernen sich Ende des 19. Jahrhunderts im Grenzgebiet zwischen Preußen und Polen kennen und lieben. Doch während Olga klare Vorstellungen von ihrem Leben hat, scheint Herbert rastlos und unstet. Er flieht vor sich und der Welt und unternimmt Reisen und Expeditionen mit Folgen - von einer kehrt er nicht mehr zurück. Olga, allein gelassen, verdient ihren Lebensunterhalt zunächst als Lehrerin, dann als Näherin, übersteht zwei Weltkriege, Flucht und Krankheit und gibt die Hoffnung nicht auf, ihr Geliebter kehre irgendwann zurück.

Der Roman gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil umfasst den Beginn der ungewöhnlichen Liebesbeziehung; im zweiten wechselt die Erzählperspektive zu Ferdinand, dem Sohn des Haushalts, in dem Olga später als Näherin arbeitet; der dritte enthält Briefe, die Olga an den verschollenen Herbert adressiert hat.

Bernhard Schlink schreibt und beschreibt pragmatisch, ruhig und leise. Seine Sprache und die versteckten, fast philosophischen Botschaften zwischen den Zeilen machen Spaß am Lesen. Dennoch habe ich im Laufe der Erzählung, in der man als Leser von einem geschichtlichen Ereignis zum nächsten gehetzt wird, vor allem Tiefgang und Emotionalität vermisst, die eigentlich erst im letzten Drittel des Buches zu spüren sind. Besonders schwer habe ich mir mit dem mittleren Abschnitt getan, in dem der nach meinem Empfinden zu blasse Ferdinand versucht, seine Freundschaft zu Olga darzustellen und Olga's Leben im Nachhinein zu beleuchten, und dies auf in meinen Augen wenig fesselnde Art.
Olga hat für mich als Hauptfigur erst am Ende Kontur und Gesicht bekommen, bis dahin ist sie mir unnahbar und fremd geblieben, ebenso wie Herbert, der mich überhaupt nicht mitnehmen konnte.

Die Handlung wirkt durchdacht und schlüssig, bietet einige Überraschungen und klärt offene Fragen zuletzt. Auch der Aufbau der Geschichte ist nicht uninteressant. Doch insgesamt betrachtet konnte mich "Olga" von Bernhard Schlink nicht restlos begeistern, dafür waren mir der Gang durchs Jahrhundert zu oberflächlich und das Personal zu kalt. "Mehr" vom Anfang und Ende hätte mir besser gefallen.