Toller Erzählstil - trotzdem unzufrieden

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scarletta Avatar

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Es war Schlinks schlichte, unprätentiöse Art zu schreiben und sich seinen Protagonisten auf sensible, aber distanzierte Art zu nähern, die mich schon beim ersten Blättern in seinem neuen Roman "Olga" überzeugte, ihn unbedingt lesen zu wollen.

Schlink schlägt einen großen Bogen hinweg fast über ein ganzes Jahrhundert. Alles beginnt Ende des 19. Jahrhunderts in Breslau, wo Olga Rinke in ärmlichen Verhältnissen aufwächst. Nach dem frühen Tod ihrer Eltern wird sie von der Großmutter nach Pommern geholt.
Gerne würde diese der Enkelin einen deutschen, statt des slawischen Vornamen, den auch die Schwiegertochter trug, verpassen, aber Olga bleibt stur.

Ihr starker Willen trägt sie nicht nur durch die lieblosen Familienverhältnisse, sondern auch durch die Schul- und Ausbildungszeit.
Von klein auf ist sie eher still abwartend und genau beobachtend, zieht ihre Schlüsse und verfolgt dann gradlinig ihren Weg.
Obwohl sie in ihrer Lernbegierde keine Unterstützung durch Pfarrer, Lehrer oder Großmutter erhält, schafft es Olga allein und fleißig, ihr Berufsziel Lehrerin zu erreichen.
Während der Schulzeit freundet sie sich mit dem Geschwisterpaar Schröder - Herbert und Viktoria - an, das im Dorf ebenso wie sie eine einsame Sonderstellung einnimmt.

Wie anders als Olga oder die anderen Dorfkinder wachsen diese auf dem pommerschen Rittergut ihrer reichen Eltern auf. Dort hofft man sehnsüchtig auf die Verleihung eines Adelstitels und verehrt das Kaisertum.
Kaum kann der kleine Herbert auf seinen stämmigen Beinen stehen, rennt er schon los, um die Weite zu erfahren, aber auch um sich selbst zu spüren, sich von Störendem loszureißen und weiter zu stürmen, einem Ziel entgegen, das ihm selber unbekannt ist. Diese Unrast wird sein wesentlicher Charakterzug.
Die patriotische Gesinnung und den Gedanken der Großmachtstellung Deutschlands übernimmt er gleich unreflektiert. Doch obwohl sein Elternhaus eine Verbindung mit der nicht standesgemäßen Olga ablehnt, verliebt er sich schon am Ende der Schulzeit in sie.

Olga steht Herberts politischer Haltung kritisch gegenüber, muss ihn aber als Freiwilligen der Schutztruppe nach Deutsch-Südwestafrika ziehen lassen. Dort heißt es, den Aufstand der Herero niederzuschlagen. Zurückgekehrt wird er sich in Entdeckungsreisen ferner Länder stürzen. Olga wird immer auf ihn warten. Letztendlich verrennt sich Herbert in die Idee einer Arktis-Expedition, mit dem Ziel, die Nordostpassage zu durchqueren, obwohl ihm jegliche Erfahrung fehlt.

Lange will Olga die Hoffnung auf seine Rückkehr nicht aufgeben, schreibt ihm unermüdlich Briefe postlagernd nach Tromsö, aber Herbert und seine Begleiter bleiben verschollen. Berufsleben, zwei Weltkriege, die plötzliche Erkrankung an Gehörlosigkeit (die ihr den Lärm des Dritten Reiches und des Bombenhagels erspart) und Flucht übersteht sie tapfer.

Im zweiten Teil des Buches wechselt die Perspektive zu Ferdinand, bei dessen Eltern sich Olga im Pensionsalter als Näherin betätigt. Er ist es auch, der nach Olgas Tod im dritten Teil des Buches Olgas alte Tromsö-Briefe findet, die die Auflösung mancher Rätsel bringen.

Schlinks knapper, sachlicher Erzählstil ist zwar sehr interessant, lässt einen als Leser aber leider nicht richtig an die Gefühle der Protagonisten heran.
Letztendlich kommt man Olga nicht näher, auch Herbert bleibt mir fremd und fern. Nur die Tatsache, dass zu dieser Romanfigur wohl der in der Arktis verschollene Herbert Schröder-Stranz inspirierte, weckt meine Neugierde (der ich durch weiteres Forschen im Internet nachgehen muss, denn das Buch liefert keinerlei Informationen).

Es sind die alten deutschen Begehrlichkeiten nach Größe und Macht, die Olga immer verachtet, aber ihren Lebensweg begleiten und beeinflussen, die im Roman thematisiert werden sollen. Mir scheint, dass der Roman damit überfrachtet wird, zumal die Stärke des ersten Teils nicht von den beiden anderen Romanteilen durchgehalten werden kann.

Gefallen hat mir Schlinks Erzählstil, vor allem des ersten Teils, die geschichtlichen Denkanstöße, die er mit gibt. Das allein macht das Buch schon lesenswert. Aber am Ende lässt es mich unzufrieden zurück, da ich das Gefühl habe, dass er Olga (vor allem ihren Gefühlen und Gedanken) nicht den Raum zugestanden hat, der ihr gebührt hätte.