Regenschirm
„Als Margo eine Affäre mit ihrem Collegeprofessor eingeht, ahnt sie natürlich nicht, dass sie von ihm schwanger wird und er sie daraufhin sitzen lässt. Also muss sie sich allein durschlagen, was als Tochter einer Hooters-Kellnerin und eines Ex-Wrestlingprofis nicht so leicht ist. Anfang 20 und ohne Abschluss, dafür aber mit einem Baby, sieht Margo nur eine Möglichkeit für sich: OnlyFans. Andere Frauen schaffen es doch auch, mit ihren Körpern dort Geld zu verdienen. (…) (Klappentext)
Du hast ein Date. Ja, genau du, du hast ein Date mit #onlymargo von Rufi Thorpe. Und was für eins, denn holy shit, wie geil ist dieser Roman. Modern erzählt er mit einer authentischen Protagonistin, die sich als Gummiband um des Lesers Herzklappen windet, was auf einen einprallt, wie das so ist, schwanger ohne Abschluss im Regen stehen gelassen zu werden. Stehen gelassen von fast allen und fast allem im Nirgendwo.
She‘ s singin‘ in the rain, just singin‘ in the rain…
Regenschirm, Regenschirm, wo ist dein Gewicht?,
Regenschirm, Regenschirm, verachte sie nicht.
Regenschirm, Regenschirm, komm im Nu,
Regenschirm, Regenschirm, sie lächelt dir zu.
Tja, und was macht der Regenschirm? Er streckt ihr die belegte Zunge raus. Und du, so als Leser*in, was machst du? Du wirst wütend, wütender, am wütendsten. Eine Bombe der Solidarität schnallt sich als Fessel um deine Ferse. Du lässt sie da, trägst sie würdevoll mit all deiner Liebe zu Margo durch das Narrativ hinweg, und wirst dabei von einem Erzählsound im Zauberreagenzglas begleitet – es funkelt und flimmert vom ersten bis zum letzten Absatz, versuch‘ da mal eine Pause mit deinen Augen auszuhandeln.
„Plötzlich hatte ich eine Vision von Mom, die ihre Vorstellung von mir wie einen künstlichen Fingernagel auf mein tatsächliches Ich presste, wie eine große, starre Maske auf mein wahres Gesicht.“ (31)
Bunt, bunter, am buntesten malt Margo sich mit ihrer Wahrnehmung der Welt und dem, was gerade in ihr selbst vorgeht, ein schmunzelndes Zwinkern ins Gesicht – klare Ansteckungsgefahr!
Süß, süßer, am süßesten versüßen alle Protagonist*innen, die sich mal an denselben, mal an verschiedenen Geländern am Rande der Gesellschaft festhalten müssen, in ganz persönlichen Dosen mit unterschiedlichen Süßungsmitteln ihre beinharten Lebensrealitäten – klare Genussgefahr!
Hartnäckig, hartnäckiger, am hartnäckigsten erzählt dieser Roman neben dem ganzen Klumpen aus einem ‚Lebenskladderadatsch‘ mit seinen brüchigen Einzelteilen, auch von einer modern komplexen, zu tiefst innigen Tochter-Vater-Beziehung, der es gelingt befreit von Konventionen Verwirrung zu stiften – klare Empathiegefahr!
„Ich stellte mir die ausgebrannte Ruine vor und meinen Vater, wie er dort stand, in seiner schwarzen Hose, dem schwarzen T-Shirt und der schwarzen Jacke. Und mich anschaute, Und mich liebte.“ (131)
Danke Rufi Thorpe, dass du mit #onlymargo denjenigen Frauen eine Stimme gibst, zu denen ich auch zähle, die ohne Studienabschluss schwanger wurden, und in einem an innovativer Kreativität mangelnden und verbohrt konservativ an patriarchal geprägten Gesetzmäßigkeiten festhaltendem System zusehen mussten, wie das jetzt funktionieren kann. (In Dänemark zum Beispiel werden Student*innen – als Paar oder nicht Paar - finanziell bezuschusst und zielführend unterstützt, wenn sie während des Studiums Kinder bekommen.)
Meine Geschichte ist selbstverständlich eine etwas andere als die von Margo, denn ich wurde schwanger in einer Partnerschaft mit einem Tontechniker- zwar in einer, die nicht viel mit Gleichberechtigung zu tun hatte- , aber ich war nicht ganz allein. Dennoch eine Studentin ohne Abschluss, und uns fehlte das Geld an allen Ecken und Kanten. Da kann ja jeder sagen unvernünftig usw., ich sehe das anders, und komme nun zum System: als Studentin bekommst du nicht mal Mutterschutzgeld. Ja, ihr hört richtig, nicht mal Mutterschutzgeld, ja richtig gehört, und Achtung, ich habe eben gegoogelt, es ist bis heute noch so. Hallo, aufwachen, bis heute - Verständnis ausgeschlossen.
Nach der Geburt nahm ich zwei Urlaubssemster, und kaum durfte ich (achso aufpassen Mutterschutzgeld gibt es nicht, aber arbeiten darfst du in der Zeit auch nicht) – fit wie eh und je – nach acht Wochen wieder arbeiten, schnappte mir abends gegen achtzehn Uhr meinen Sohn, brachte ihn zu Freundinnen, und ging wieder kellnern, um um null oder ein Uhr ihn wieder gegen die Abgabe meines Trinkgeldes einzutauschen. Ein dicker Schmatzer, ein kuscheliges Knuddeln, und ab die Luzi ging es stramm dreißig Minuten durch Wind und Wetter (mein Sohn ist im Herbst geboren) mit Kind im roten Ferrari verpackt (den Kinderwagen hatte mir mein Bruder, mein aus dem Nichts herbeigedüster Regenschirm geschenkt) von Linden Richtung Nordstadt. Ach, ich vergaß zu erzählen – ich wohnte in Hannover. Hier der Nachtrag. Das zog ich lange so durch, bis ich ein paar andere Lösungen fand. Derweilen strömte ich siegessicher gedanklich dem August entgegen, ich war doch überzeugt, dass mich ein Campuskrippenplatz erwarten würde. Fehlerquote nicht bedacht. Aus die Maus. Kein Platz. Sohn nicht mal eins. Das Jahr 2009 vor der berüchtigt berühmten Reform. Mögliche Urlaubssemster aufgebraucht. Studium ade. Ade, oh weh, oh weh.
Ich habe meinen Weg gemacht, bin zur Hürdenläuferin geworden, aber ich hoffe, ich hoffe so sehr, dass das folgende Zitat endlich strukturell der Vergangenheit angehören kann, strukturell in dem Sinne, dass es für jede Frau, absolut jede, kein Postulat mehr sein muss:
„Außerdem hatte ich damals nicht auf dem Schirm, wie schwer es Frauen in dieser Welt gemacht wird, Kinder zu bekommen und weiter arbeiten zu gehen. Das ganze Kinderbetreuungssystem ist ein Witz. Es zerbombt dir dein Leben.“ (251)
Ich habe oben vom Regenschirm gesprochen, der Margo die Zunge rausstreckt. Dieser Regenschirm ist einmal das System, und kann einmal Familie und Freunde sein. Aber Obacht, immer ganz genau hinschauen, manchmal kommt da doch ein wunderschöner, kunterbunter Regenschirm ums Eck. Bei Margo war es der Vater, bei mir war es mein ältester Bruder, der sagte, egal was ist, du bist einzigartig, du hast nichts falsch gemacht, ein Kind muss man erst einmal auf die Welt bringen können, das könnt nur ihr und ein Kind schenkt Liebe, die bleibt. Da hatte er Recht, so ist es, so war es und so wird es immer bleiben.
„Doch jeden Abend, wenn ich Bodhi in den Schlaf wiegte, wurde mir zugleich bewusst, dass meine Welt nie wieder ohne Liebe sein würde. Liebe, das begriff ich nun, war nichts, was von außen zu einem kam. Ich hatte immer gedacht, Liebe wäre etwas, das andere einem gaben, aber es wollte mir einfach nicht gelingen, ein paar Krümel davon abzubekommen, und so lief ich die ganze Zeit hungrig und verzweifelt herum. Doch allmählich verstand ich, dass die Liebe aus mir selbst kam, und wenn ich andere liebte, war ich von der Kraft und Wärme dieser Liebe erfüllt, und das machte mich stark.“ (326)
Du hast ein Date. Ja, genau du, du hast ein Date mit #onlymargo von Rufi Thorpe. Und was für eins, denn holy shit, wie geil ist dieser Roman. Modern erzählt er mit einer authentischen Protagonistin, die sich als Gummiband um des Lesers Herzklappen windet, was auf einen einprallt, wie das so ist, schwanger ohne Abschluss im Regen stehen gelassen zu werden. Stehen gelassen von fast allen und fast allem im Nirgendwo.
She‘ s singin‘ in the rain, just singin‘ in the rain…
Regenschirm, Regenschirm, wo ist dein Gewicht?,
Regenschirm, Regenschirm, verachte sie nicht.
Regenschirm, Regenschirm, komm im Nu,
Regenschirm, Regenschirm, sie lächelt dir zu.
Tja, und was macht der Regenschirm? Er streckt ihr die belegte Zunge raus. Und du, so als Leser*in, was machst du? Du wirst wütend, wütender, am wütendsten. Eine Bombe der Solidarität schnallt sich als Fessel um deine Ferse. Du lässt sie da, trägst sie würdevoll mit all deiner Liebe zu Margo durch das Narrativ hinweg, und wirst dabei von einem Erzählsound im Zauberreagenzglas begleitet – es funkelt und flimmert vom ersten bis zum letzten Absatz, versuch‘ da mal eine Pause mit deinen Augen auszuhandeln.
„Plötzlich hatte ich eine Vision von Mom, die ihre Vorstellung von mir wie einen künstlichen Fingernagel auf mein tatsächliches Ich presste, wie eine große, starre Maske auf mein wahres Gesicht.“ (31)
Bunt, bunter, am buntesten malt Margo sich mit ihrer Wahrnehmung der Welt und dem, was gerade in ihr selbst vorgeht, ein schmunzelndes Zwinkern ins Gesicht – klare Ansteckungsgefahr!
Süß, süßer, am süßesten versüßen alle Protagonist*innen, die sich mal an denselben, mal an verschiedenen Geländern am Rande der Gesellschaft festhalten müssen, in ganz persönlichen Dosen mit unterschiedlichen Süßungsmitteln ihre beinharten Lebensrealitäten – klare Genussgefahr!
Hartnäckig, hartnäckiger, am hartnäckigsten erzählt dieser Roman neben dem ganzen Klumpen aus einem ‚Lebenskladderadatsch‘ mit seinen brüchigen Einzelteilen, auch von einer modern komplexen, zu tiefst innigen Tochter-Vater-Beziehung, der es gelingt befreit von Konventionen Verwirrung zu stiften – klare Empathiegefahr!
„Ich stellte mir die ausgebrannte Ruine vor und meinen Vater, wie er dort stand, in seiner schwarzen Hose, dem schwarzen T-Shirt und der schwarzen Jacke. Und mich anschaute, Und mich liebte.“ (131)
Danke Rufi Thorpe, dass du mit #onlymargo denjenigen Frauen eine Stimme gibst, zu denen ich auch zähle, die ohne Studienabschluss schwanger wurden, und in einem an innovativer Kreativität mangelnden und verbohrt konservativ an patriarchal geprägten Gesetzmäßigkeiten festhaltendem System zusehen mussten, wie das jetzt funktionieren kann. (In Dänemark zum Beispiel werden Student*innen – als Paar oder nicht Paar - finanziell bezuschusst und zielführend unterstützt, wenn sie während des Studiums Kinder bekommen.)
Meine Geschichte ist selbstverständlich eine etwas andere als die von Margo, denn ich wurde schwanger in einer Partnerschaft mit einem Tontechniker- zwar in einer, die nicht viel mit Gleichberechtigung zu tun hatte- , aber ich war nicht ganz allein. Dennoch eine Studentin ohne Abschluss, und uns fehlte das Geld an allen Ecken und Kanten. Da kann ja jeder sagen unvernünftig usw., ich sehe das anders, und komme nun zum System: als Studentin bekommst du nicht mal Mutterschutzgeld. Ja, ihr hört richtig, nicht mal Mutterschutzgeld, ja richtig gehört, und Achtung, ich habe eben gegoogelt, es ist bis heute noch so. Hallo, aufwachen, bis heute - Verständnis ausgeschlossen.
Nach der Geburt nahm ich zwei Urlaubssemster, und kaum durfte ich (achso aufpassen Mutterschutzgeld gibt es nicht, aber arbeiten darfst du in der Zeit auch nicht) – fit wie eh und je – nach acht Wochen wieder arbeiten, schnappte mir abends gegen achtzehn Uhr meinen Sohn, brachte ihn zu Freundinnen, und ging wieder kellnern, um um null oder ein Uhr ihn wieder gegen die Abgabe meines Trinkgeldes einzutauschen. Ein dicker Schmatzer, ein kuscheliges Knuddeln, und ab die Luzi ging es stramm dreißig Minuten durch Wind und Wetter (mein Sohn ist im Herbst geboren) mit Kind im roten Ferrari verpackt (den Kinderwagen hatte mir mein Bruder, mein aus dem Nichts herbeigedüster Regenschirm geschenkt) von Linden Richtung Nordstadt. Ach, ich vergaß zu erzählen – ich wohnte in Hannover. Hier der Nachtrag. Das zog ich lange so durch, bis ich ein paar andere Lösungen fand. Derweilen strömte ich siegessicher gedanklich dem August entgegen, ich war doch überzeugt, dass mich ein Campuskrippenplatz erwarten würde. Fehlerquote nicht bedacht. Aus die Maus. Kein Platz. Sohn nicht mal eins. Das Jahr 2009 vor der berüchtigt berühmten Reform. Mögliche Urlaubssemster aufgebraucht. Studium ade. Ade, oh weh, oh weh.
Ich habe meinen Weg gemacht, bin zur Hürdenläuferin geworden, aber ich hoffe, ich hoffe so sehr, dass das folgende Zitat endlich strukturell der Vergangenheit angehören kann, strukturell in dem Sinne, dass es für jede Frau, absolut jede, kein Postulat mehr sein muss:
„Außerdem hatte ich damals nicht auf dem Schirm, wie schwer es Frauen in dieser Welt gemacht wird, Kinder zu bekommen und weiter arbeiten zu gehen. Das ganze Kinderbetreuungssystem ist ein Witz. Es zerbombt dir dein Leben.“ (251)
Ich habe oben vom Regenschirm gesprochen, der Margo die Zunge rausstreckt. Dieser Regenschirm ist einmal das System, und kann einmal Familie und Freunde sein. Aber Obacht, immer ganz genau hinschauen, manchmal kommt da doch ein wunderschöner, kunterbunter Regenschirm ums Eck. Bei Margo war es der Vater, bei mir war es mein ältester Bruder, der sagte, egal was ist, du bist einzigartig, du hast nichts falsch gemacht, ein Kind muss man erst einmal auf die Welt bringen können, das könnt nur ihr und ein Kind schenkt Liebe, die bleibt. Da hatte er Recht, so ist es, so war es und so wird es immer bleiben.
„Doch jeden Abend, wenn ich Bodhi in den Schlaf wiegte, wurde mir zugleich bewusst, dass meine Welt nie wieder ohne Liebe sein würde. Liebe, das begriff ich nun, war nichts, was von außen zu einem kam. Ich hatte immer gedacht, Liebe wäre etwas, das andere einem gaben, aber es wollte mir einfach nicht gelingen, ein paar Krümel davon abzubekommen, und so lief ich die ganze Zeit hungrig und verzweifelt herum. Doch allmählich verstand ich, dass die Liebe aus mir selbst kam, und wenn ich andere liebte, war ich von der Kraft und Wärme dieser Liebe erfüllt, und das machte mich stark.“ (326)