Tyrann mit Herz

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"Das Leben ist so schwer, wenn es aufhört, Timna, und so schön, wenn es anfängt."

Otto war ja noch nie der einfachste Familienvater, doch als er nach langen Krankenhausaufenthalten nach Hause entlassen wird, wird er erst recht zum Quälgeist für seine beiden Töchter Timna und Babi. Er verlangt, dass sie für ihn da sind, und zwar ständig. Doch der Abschied von einem Menschen, den man sein ganzes Leben lang loswerden wollte, kann unendlich schwer sein.

In kurzen, pointierten Sätzen erzählt Dana von Suffrin hier die Geschichte eines alten Familientyrannen, der alle mit seinem Geiz und seiner mangelnden Empathie quält. Doch er ist gleichzeitig Dreh- und Angelpunkt von Timnas und Babis Leben - täglich besuchen sie ihn im Krankenhaus (obwohl zweimal täglich eigentlich angemessener wäre), kümmern sich um ihn, ertragen seine Tiraden. Doch so richtig tyrannisch kam mir Otto nie vor. Mit seiner leicht verschobenen Grammatik, seinen irgendwie liebevollen Beleidigungen (Ihr Idioten! Ihr alten Kühe!) und seinen immer auf Sparsamkeit abzielenden Marotten ist er mir doch irgendwie ans Herz gewachsen. Und obwohl er für seine Töchter häufig zur Qual wird, kommen sie nicht von ihm los, und als sein Ende wirklich bevorsteht, spürt man Timnas Traurigkeit deutlich.

Auf nur etwas mehr als 200 Seiten ist ganz schön viel Geschichte verpackt, die vom ersten über den zweiten Weltkrieg, nach Israel, ins Ruhrgebiet und schließlich nach München führt - allerdings natürlich in sehr reduzierter und episodischer Form. Man kann erahnen, wie Ottos Leben gewesen sein muss, doch am Ende hat man immer nur diesen alten Nörgler vor Augen. Gleichzeitig muss nämlich auch noch Timnas Leben einen Platz in ihrer Ich-Erzählung finden, genauso wie Erinnerungen an ihre Mutter und Geschichten über ihre Schwester Babi. Alle haben sie so ihre Probleme (diverse Einlieferungen in die Psychiatrie, Alkohol, Scheidungen), doch mit viel schwarzem Humor und einer Prise Selbstironie wuppt von Suffrin auch die schweren Seiten des Lebens.

Bei einer so kurzen Erzählung über so viele Menschen bleiben natürlich einige Fragen unbeantwortet. Was hat es mit der Stiefschwester Reisele auf sich? Wie steht es um Babis Gesundheit? Wie entwickelt sich Timnas Beziehung zu Tann - sind sie im Erzählzeitraum schon verheiratet? Das episodische Erzählen erzeugt zwar Dynamik, der Leser bleibt aber manchmal auch auf der Strecke. Mir hätte es gar nichts ausgemacht, noch ein paar Seiten mehr aus dem Leben dieser schrägen und doch ganz normalen Familie zu lesen.

Dana von Suffrins Debütroman hat ziemlich viel Spaß gemacht und mich immer wieder zum Lachen gebracht, wobei mir das dann auch mal im Hals stecken geblieben ist. Ein klares Bild ergibt sich nicht aus der episodenhaften, unchronologischen Erzählung, aber immerhin ein gutes Gefühl für das Leben all dieser Menschen, die durch unbedingten Familienzusammenhalt aneinandergekettet sind.