Eine Kindheit in Armut und Krieg – eine bewegende Geschichte

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evelynm Avatar

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In den Jahren des Irak-Iran-Krieges von 1980 bis 1988 erlebt Shams Hussein eine Kindheit in Armut, unter der Diktatur Saddams und der ständigen Angst vor Verfolgung und Inhaftierung. Seine Familie lebt in einer kleinen Dorfgemeinschaft, ist arm und hält sich mehr schlecht als recht über Wasser. Die Angst vor Repressalien durch die Regierung lässt alle verstummen und sie ergeben sich in ihr Schicksal. Einzig Shams Großvater hat eine spitze Zunge und ein rabiates Wesen, was durchaus für die ganze Familie gefährlich werden könnte, denn hinter jedem Eck lauert Gefahr. Eines Tages zieht die Familie nach Saddam City, Bagdad, voller Hoffnung auf einen Neuanfang und ein besseres Leben. Doch diese Hoffnung mag sich nicht erfüllen, denn Shams lebt nun im s.g. Blechviertel, einem unwirtlichen Ort weit außerhalb der eigentlichen Stadt. Mit Reparaturen von Dingen, die Shams Vater auf der Müllhalde findet und teil umfunktioniert und der Betätigung von Shams Mutter als „Hellseherin“ schlagen sie sich durch. Shams findet schließlich Arbeit als Tütenverkäufer und entdeckt eines Tages Bücher im Gewimmel des Bazars – der Büchermarkt und ein kleiner Kreis an Literaturbegeisterte eröffnet Shams eine ganz neue Welt.
Shams Kindheit ist nur ein Teil des Romans von Abbas Khider, der in Bagdad aufgewachsen ist. Eine Rahmenhandlung stellt Shams Zeit im Gefängnis in den Mittelpunkt bis am Ende die beiden Erzählstränge zueinander führen und den Leser mit einem diffusen Kribbeln im Nacken zurück lässt.


„Alle haben Angst in diesem Land der unterirdischen Kerker.“ Dieser Satz hat sich sofort in mein Gedächtnis eingegraben!
In den Slums von Bagdad in den Jahren des Irak-Iran-Krieges (1980 – 1988) und nicht nur dort beherrscht Angst das Leben vieler Menschen, die täglich ums Überleben kämpfen. Abbas Khider erzählt die Geschichte von Shams Hussein mit einer solchen Sprachgewalt, dass er mich von Anfang an fest im Griff hatte. Und das im besten Sinne! Die Dörfer „Herzliche Hölle“ und das „Inder-Dorf“ entbehren nicht einer gewissen Komik, aber aufgrund der Verhältnisse im Land bleibt einem hier das Lachen schon mal im Halse stecken. Abbas Khider beschönigt nichts in seinem Roman und es liegt keinerlei Pathos über Shams Leben.
Eindrücklich und mit einem klaren Blick auf sein Heimatland beschreibt er eine einfache Dorfgemeinschaft, die nicht viel Abwechslung in ihrem Zusammenleben hat, so dass sie sich gerne bei Fackeln und Kerzenschein mit alten, historischen Geschichten die Zeit vertreiben. Besonders bedrückend empfinde ich die Beschreibungen zur „Regierung“ von Saddam und wie hier auch die Kinder sofort mit einbezogen wurden und der Dienst an der Waffe nicht nur ein großartiges Abenteuer für die Jungs, sondern auch eine Pflicht für den Führer und sein Land war. »Wir sind Pioniere. Gott, Heimat und Führer. Wir sind Pioniere. Mit ganzer Seele und unserem Blut opfern wir uns für dich, oh Saddam. Wir sind Pioniere.« Das Blechviertel und der „Palast der Miserablen“ könnten nicht unterschiedlicher sein und Shams bewegt sich zwischen beiden „Orten“ hin und her, wobei stets eine dunkle Wolke über ihm zu schweben scheint. Unwillkürlich fragte ich mich, wie lange das noch gut gehen kann. Diese Frage blieb nicht unbeantwortet und doch traf mich das Ende mit einer Wucht, die ich nicht erwartet habe.
Man mag Shams für naiv und wirklichkeitsfremd halten, wie er sich über ein selbstgebautes „Haus“ im Blechviertel und einen Fernseher im „Café“ freut. Doch wie würde es den Lesern und Leserinnen wohl ergehen, wenn sie unter solch einfachen, eingeschränkten und gefährlichen Umständen aufgewachsen wären!? Bei mir wirkt Shams Geschichte noch lange nach und ich habe ihn lieb gewonnen - auch wenn er letztlich seiner Naivität erlegen ist, hat er doch alles für ihn Mögliche getan, um ein besseres Leben zu führen.