Kindheit im Irak

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Den Palast der Miserablen lässt Abbas Khider in seinem neuen Roman für den jungen Shams Hussein zu einem Ort der Zuflucht, der Freiheit und der intellektuellen Auseinandersetzung werden.

Die Geschichte seiner Kindheit und Jugend im Irak ist die Geschichte eines Lebens im Krieg, unter Sanktionen und einer harschen Diktatur.

Shams Großvater Marzoq war der letzte „wilde Kerl“ der Familie. Einer, der immer sagte, was er dachte, der kein Blatt vor den Mund nahm, auch ordentlich bösartig sein konnte. Als Stammesältester mahnte er schon während des Ersten Golfkrieges zwischen dem Irak und dem Iran:

„Irgendwann werden uns unsere eigenen Kinder nicht mehr respektieren. Sie werden uns auslachen. Wir machen uns zum Gespött unserer Nachkommen. In hundert Jahren wird man über uns als die Fußabtreter Saddams sprechen. Früher waren wir eine Nation voller Stolz.“

Saddam Hussein hatte seit 1979 die Macht im Irak übernommen und durch politische Säuberungen auf sich konzentriert. Seit 1980 führte er Krieg um die Vorherrschaft in der Golfregion gegen den schiitischen Iran, der seit der iranischen Revolution militärisch geschwächt war. Der Krieg sollte acht lange Jahre andauern, der Großvater sein Ende nicht mehr erleben.

Die Familie von Shams wohnt in Ahlan Dschahannam, einem kleinen Dorf im Süden in der Nähe zur iranischen und kuweitischen Grenze, dessen Name übersetzt „Herzliche Hölle“ bedeutet. Hier ist das Kriegsgeschehen deutlich spürbar. Detonationen, Kampfflugzeuge, einmal marschieren sogar iranische Truppen im Dorf ein. Shams Vater ist schon immer Soldat. Eine Laufbahn, die anscheinend viele Männer einschlagen müssen, die weder über finanzielle Mittel noch über herausragende schulische Leistungen verfügen. Shams bewundert und liebt seine unerschrockene, schöne Schwester Qamer. Für die Kinder scheint es trotz aller Widrigkeiten eine glückliche Kindheit gewesen zu sein.

Die Zeit des Friedens nach dem Waffenstillstand mit dem Iran währte nicht lange. 1990 annektierte der Irak, hauptsächlich um seine hohen Schulden nach dem Ersten Golfkrieg begleichen zu können, das kleine, ölreiche Nachbarland Kuweit. 1991 griff ein anti-irakisches Militärbündnis unter Führung der USA in den Konflikt ein. Dieser zweite Golfkrieg dauerte nur wenige Monate und endete mit einem Waffenstillstand. Schiitische Kreise nutzten ihn für einen Aufstand gegen Saddam Hussein und die regierende Baath-Partei. Zentrum der Aufstände war neben dem kurdischen Norden der Südirak.

Shams Familie ist schiitisch, der eigentlich unpolitische Vater fürchtet Repressalien und flieht mit der Familie aus dem Süden nach Bagdad. Dort hofft er, ein neues, nicht-militärisches Leben zu beginnen. Die Stammesstrukturen sind auch im modernen Irak sehr bedeutend, verwandtschaftliche Netzwerke greifen, dennoch landet die Familie im „Blechviertel“, dem Slum Bagdads hinter „Saddam City“. Dort leben sie ohne fließend Wasser, ohne Elektrizität, von kleinen Tagelöhnereien auf dem Markt. Die Kinder verkaufen Wasser und Plastiktüten. Die Folgen des Embargos, das die siegreichen Mächte dem Irak gegenüber verhängt haben, sind hier im Elendsviertel besonders zu spüren.

Erst nach und nach bessert sich die Situation der Familie und die Kinder können wieder zur Schule gehen, Shams später sogar zur Oberschule, Qamer macht eine Ausbildung zur Krankenpflegerin.

Die Mutanabi-Straße mit ihrem Büchermarkt wird für Shams zur Zuflucht. Dort entdeckt er über die erotischen Erzählungen Alberto Moravias, deren Kauf eher ausbrechenden pubertären Interessen geschuldet waren, die Liebe zur Literatur. Und hier wird er eingeführt in den „Palast der Miserablen“, einem Literaturzirkel von Freidenkern, die auch verbotene Bücher lesen. So macht Abbas Khider den Palast der Miserablen auch zu einer Liebeserklärung an die Literatur.

Die Kapitel dieser mitreißenden Kindheits-, Jugend- und Bildungsgeschichte, die in klarer, nüchterner Sprache verfasst sind, wechseln ab mit kürzeren Abschnitten, die Berichte eines Gefangenen aus einem Foltergefängnis des Iraks sind. Wir befinden uns nun im Jahr 2003 und die Tage von Saddam Husseins Herrschaft sind gezählt. Diese Abschnitte sind drastisch, die zunehmend schwierige Lage des Gefangenen, der Shams Hussein zu sein scheint, wird durch die zunehmend verknappte Erzählung deutlich und spürbar. Das Ende ist offen.

Mit „Palast der Miserablen“ ist Abbas Khider ein authentisches, packendes Stück Literatur über das Leben im Irak unter Saddam Hussein gelungen, dass sicher auch aus Khiders eigener Erfahrung gespeist wird. Auch er war mehrmals in irakischen Gefängnissen inhaftiert, bevor er 1996 floh und 2000 in Deutschland Asyl erhielt. Seitdem schreibt er in deutscher Sprache. „Palast der Miserablen“ beweist erneut, wie gut er das kann.