"Auf tanzende Ratten!"

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elke seifried Avatar

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„Danny Malooley war vier Jahre alt, als er die bittere Erfahrung machte, dass Seife mit Zitronenduft kein bisschen nach Zitronen, aber dafür umso mehr nach Seife schmeckt.“, ist einer der ersten Beschreibungen mit denen diese Vater-Sohn-Geschichte beginnt. Hat man gerade eben noch ein Grinsen im Gesicht, vergeht einem das sehr schnell, wenn man dann erfährt, dass Dannys Frau vor etwa einem Jahr ums Leben gekommen ist und sein Sohn seither kein Wort mehr gesprochen hat. Wären die längst nicht verarbeitete Trauer um seine geliebte Liz und die Sorgen um den elfjährigen Will nicht schon genug, gibt ihm der neue Projektleiter auf der Baustelle nun auch noch den Flugschein und einen angelernten Bauarbeiter scheint in der ganzen Stadt tatsächlich niemand einstellen zu wollen. Mit der Miete schon zwei Monate in Verzug, wird es jetzt wirklich brenzlig, will er nicht mit Will unter eine Brücke ziehen. Beim trostlosen Schlendern durch einen Park kommt ihm die Idee.“ Also, ich war neulich im Veranda Park, ja? Der Park mit den ganzen Künstlern und Artisten? Musiker, Zauberer, Tänzer und so weiter? Na ja, ich habe gesehen, was die verdienen, und im Ernst, Kumpel, die scheffeln so viel Kohle, sogar die schlechten, also dachte ich mir, was soll’s, das versuche ich auch.“. Ein richtiges Schnäppchen beim Kostümverleih ist ein Pandakonstüm für das gilt, „Bursche hat es für die Einführungswoche an der Uni ausgeliehen und sich vollgekotzt. Verstehen Sie mich nicht falsch, es ist komplett sauber, aber es riecht noch ganz leicht nach Jägermeisterkotze.“. Doch was nun Tun im stinkenden Kostüm? Zaubern, ein Instrument spielen, Singen, Tanzen, alles Fehlanzeige.

Als Leser lernt man Danny und seinen Sohn in dieser Lage kennen. Man muss Will in die Schule begleiten und dort so manche Erniedrigung mit ihm erleben, denn nicht nur in den Pausen heißt es für ihn z.B. er „verbrachte den ersten Teil der großen Pause in der Hausmeisterkammer. Er verbrachte dort oft einen Teil seines Tages, aber nicht weil er den Geruch von Industriereiniger gemocht hätte oder das Gefühl, längere Zeit in einem dunklen Raum zu hocken, sondern weil er wieder einmal von Mark und seiner Bande dort eingesperrt worden war,“. Mit Danny darf man erste schlechte Erfahrungen als Straßenkünstler machen. Hier hört man Beleidigungen wie, »Hey. Stinktier. Stinkie. Stinkemann. Stinkerino. Stinkomat. El Stinko.« »Ich bin kein Stinktier«, sagte er seufzend. »Nein?«, sagte Krystal und schnupperte. »Du stinkst aber krass wie eins.« oder »Danny?«, fragte Ivana. Sie ließ den Besen augenblicklich fallen. »Warum du bist verkleidet als Ratte?« »Ja, warum du bist verkleidet als Ratte? Ivana, sie hasst Ratten.« und über den ersten Tag kann er berichten, »Ich wurde von Kindern ausgeraubt, meine sämtlichen Klamotten wurden geklaut, im Internet könnte ein Video kursieren, in dem ich ein kleines Mädchen als den Antichrist bezeichne, im Bus hat eine Frau ihren Kaugummi auf mich gespuckt, und ich wurde von einem ukrainischen Hünen gewürgt und mit einem Besen auf den Kopf geschlagen. Ein ganz normaler erster Tag also.« Nach ein paar Tagen gilt immer noch, „Sein höchstes Tageseinkommen waren etwas über sieben Pfund gewesen, von denen er fünf nicht einmal selbst verdient, sondern in Form eines vom Wind durch den Park gewehten Scheins zufällig gefunden hatte,“. Deshalb muss Tanzunterricht her, allerdings ist das auch kein leichtes Unterfangen, denn „Während seine verstorbene Frau auf der Tanzfläche eine Art Naturtalent gewesen war, war Danny eher eine Naturkatastrophe.“, „Danny versuchte mit dem Rhythmus mitzugehen, aber der Rhythmus sah ihn kommen und rannte davon.“ und „Ebenso problematisch waren Dannys Koordinationsfähigkeiten oder besser das Fehlen derselben. Er wackelte, wenn er schütteln sollte, er schüttelte, wenn er wirbeln sollte, er wirbelte, wenn er schreiten sollte, und statt zu schreiten, tat er etwas, wofür nicht einmal Krystal ein Wort hatte.“. Die Einnahmen sind daher noch meilenweit von den ausstehenden Mietschulden entfernt, letzte Rettung könnte »Der große Wettstreit der Straßenkünstler. In vier Wochen. Hyde Park. Erster Preis–« »Zehntausend Mäuse!«, sein. Während man mit ihm wie irre darauf hinarbeiten muss, kann man sich über den Lichtblick freuen, dass Will langsam wieder beginnt zu reden. Allerdings nur mit dem ihm unbekannten Panda aus dem Park. Mehr will ich gar nicht über den Inhalt verraten.

Der humorvoll, pointierte Schreibstil des Autors liest sich locker, leicht. Ihm ist es gelungen mich ganz oft zum Grinsen zu bringen, wofür pointierte Vergleiche wie „Er stand peinlich berührt da wie einer, der in einem vollbesetzten Aufzug furzt, der noch zehn Stockwerke weiterfährt,“ oder schlagfertig, witzige Dialoge, bei denen auf ein beim Üben völlig außer Atem sein von Danny »Es war knapp. Irgendwann fing alles an zu flackern, und ich dachte schon: Das war’s also. So geht es zu Ende.« schon mal ein originelles »Ich habe Fanny schon hundertmal gesagt, sie soll die Leuchtstoffröhre auswechseln lassen.« von Krystal kommen kann, sorgen. Es ist ihm auch ganz oft gelungen mich sehr betroffen zu machen. Welch Mitleid habe ich z.B. verspürt, wenn es heißt, „Auf Wills Gesicht erschien ein Lächeln, das eher der Auftakt zu einem richtigen Lächeln war, welches aber nie folgte.“, oder welchen Stich hat es mir versetzt, lesen zu müssen, »Das ist nicht dasselbe. Mum war meine Mum, aber sie war auch meine Freundin, weißt du? Aber Dad, na ja, der ist bloß mein Dad.“ oder »Ich wünschte, ich wäre gestorben, mit Mum zusammen, weil ich lieber tot wäre, als allein mit dir zu sein.« Ich habe mich über jeden Schritt von Danny und Will aufeinander zu gefreut, war bei jedem Rückschritt traurig, habe richtig mitgefiebert, dass die beiden zu einem guten Ende finden, und auch, dass Danny den Wettbewerb gewinnt und sie nicht aus der Wohnung geworfen werden, was mich ans Buch gefesselt hat. Das hat die Geschichte für mich insgesamt sehr spannend gemacht, auch wenn ich hin und wieder die eine oder andere Länge empfunden habe, besonders wenn immer wieder mal ein Gerangel zwischen dem Zaberer El Magnifico, Danny und auch Krystal entsteht, und auch den Wettbewerb an sich hätte ich vielleicht nicht ganz so ausführlich und mitsamt dem Finale nicht so überzeichnet gebraucht. Richtig gerührt haben mich aber wieder die zahlreichen Szenen, die von Freundschaft zeugen und die im Gesamteindruck eindeutig überwiegen.

Ich mochte Danny von Anfang an super gerne. Er kämpft so sehr, nicht nur um seinem Sohn und sich die Existenz zu sichern, sondern möchte sich auch ins Wills Herz schmuggeln. Ich konnte ihn so gut verstehen, wie peinlich ihm die Pandanummer sein muss, und er dann nicht mehr weiß, wie die Wahrheit ans Licht soll, ohne dass alle Erfolge in der Vater-Sohn Beziehung wieder zunichte gemacht werden. Er ist ein super liebenswerter Kerl. Auch Will ist toll dargestellt. Seine Wandlung, die durch den Panda in Gang gesetzt wird, fühlt sich super authentisch an und ich konnte mich stets sehr gut in den Jungen hineinversetzen. Unter den Nebendarstellern haben mir Ivan, der ukrainische Kumpel von der Baustelle, einer auf den Danny wirklich zählen kann und der hinter seiner harten Fassade ein gutmütiger, weichherziger Kerl ist, Lehrer Collman, der zum Glück genauer hinschaut, als andere und vielleicht gerade die richtigen Methoden hat und Tim, der Gitarrist mit seinem Kater Milton, der Danny nicht nur einmal helfend unter die Arme greift, gefallen. Süß fand ich auch Wills Freund und Schulkamerad Mo, den pummeligen Jungen mit der dicken Brille und den Hörgeräten in beiden Ohren. Der steht ihm nicht nur perfekt zur Seite, sondern hat mich mit seinen neuesten Erkenntnissen aus Wissenssendungen, »Hi, Mr. Malooley«, sagte er, als Danny die Tür öffnete. »Wussten Sie, dass ein Blauwal beim Furzen so dicke Blasen macht, dass ein ganzes Pferd reinpasst?<<, ganz oft zum Schmunzeln gebracht. Etwas Probleme hatte ich zunächst mit Stangentänzerin Krystal, die mit ihrer derben Sprache eine wenig sympathische Fassade aufgebaut. Aber je mehr Zeit man mit ihr verbringen darf, desto mehr muss man sie mögen.

Alles in allem eine kurzweilig, äußerst unterhaltsame Vater-Sohn-Geschichte, die zu berühren vermag, aber auch viel Platz für Humor und Lachen bietet. Da sind vier Sterne für mich schon noch drin.