Lesenswerter Near Future-Thriller

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INHALT
Deutschland in der Zukunft. Die Küsten sind überschwemmt, die großen Pandemien überstanden, weite Teile des Landes sind entvölkert, und die Natur erobert sich verlassene Ortschaften zurück. Berlin ist nur noch eine Kulisse für Touristen. Regierungssitz ist Frankfurt, das mit dem gesamten Rhein-Main-Gebiet zu einer einzigen Megacity verschmolzen ist. Dort, wo es eine Infrastruktur gibt, funktioniert sie einwandfrei. Nahezu das gesamte Leben wird von Algorithmen gesteuert. Allen geht es gut – solange sie keine Fragen stellen.
(Quelle: Suhrkamp – Erscheinungstermin: 22.06.2020 - ISBN: 978-3-518-47055-8)
MEINE MEINUNG
Mit ihrem Thriller „Paradise City“ ist der deutschen Autorin Zoë Beck ein fesselnder und nachdenklich stimmender Roman mit beklemmenden dystopischen Elementen gelungen, der mit seinem düsteren Szenario erstaunlich nah an der derzeitigen Realität ist und für besondere Brisanz sorgt.
Die Vielschichtigkeit und beunruhigende Aktualität ihrer faszinierenden Zukunftsvision sowie der sehr glaubwürdig ausgearbeitete Entwurf einer zukünftigen Gesellschaft, in der Freiheit und Selbstbestimmung bedenkenlos umfassenden staatlichen Sicherheitskonzepten und einer strikten Gesundheitsüberwachung geopfert werden, konnten mich sehr überzeugen.
Angesiedelt ist Becks Utopie in einer nicht allzu fernen Zukunft nach dem Zusammenbruch der alten Zivilisation durch Klimawandel, Naturkatastrophen und Pandemien. Die ehemalige Hauptstadt Berlin fungiert nur noch als kulissenhafter Themenpark für historisch interessierte Touristen, während der eigentliche Regierungssitz sich nun in Frankfurt, der 10 Millionen-Megastadt im Rhein-Main-Ballungsraum, befindet. Geschickt lässt uns die Autorin schrittweise eintauchen in eine vermeintlich perfekte „Schöne neue Welt“, in der ein hochtechnisierter, gut organisierter Alltag den Menschen ein sicheres und angenehmes Leben in den gut erschlossenen Megacities beschert. Dank des anschaulichen Erzählstils und des Verzichts auf komplexe Fachbegriffe und technische Details fällt der Einstieg in die Geschichte nicht schwer.
Neben der Auseinandersetzung mit tiefgründigen Themen, die jeden von uns betreffen, erwartet den Leser eine raffiniert angelegte, vielschichtige Handlung mit spannenden Krimielementen. Sehr differenziert führt uns Beck die weitreichenden Folgen einer Machtkonzentration eines Systems vor Augen, das mittels Smart-Technologie Zugriff auf die Bevölkerung hat und einen Gesundheitsfanatismus betreibt, der auch vor fragwürdigen ethischen Fragestellungen nicht Halt macht. So beleuchtet sie dabei auch die Chancen und Risiken neuer Technologien und des medizinischen Fortschritts, die zunehmend die Wirtschaftlichkeit eines jeden Einzelnen für die Gesellschaft im Fokus haben.
Gekonnt gibt uns die Autorin Einblicke in die verstörende Normalität des alltäglichen Lebens einer zunehmend entmündigten Bevölkerung, die sich in einem totalitären System gut aufgehoben fühlt und kaum noch etwas hinterfragt. Bis auf wenige nicht-staatliche Nachrichtenportale gibt es nur noch die Staatsmedien, die lückenlose Überwachung des öffentlichen Raums gewährleistet die Sicherheit der Bevölkerung und via „Smartcase“ ist eine permanente Vernetzung garantiert, wodurch jedoch auch ein jeder für das System bis ins kleinste Detail transparent wird. Insbesondere die Gesundheit und Fitness der Bevölkerung wird über die speziell vom Gesundheitsministerium entwickelte Gesundheits-App „KOS“analysiert, überwacht und zentral gesteuert – ein überaus prestige- und gewinnträchtiges Projekt, das in weitere Länder verkauft werden soll. Eingebettet in dieses erschreckende Zukunftsszenario hat die Autorin einen fesselnden, vielschichtigen Plot entworfen, in dessen Mittelpunkt die junge Protagonistin und engagierte Journalistin Liina steht, die für die nichtstaatliche Nachrichtenagentur Gallus inkognito zu Enthüllungsstories über Korruption und Skandale recherchiert. Nach dem mysteriösen Unfall ihres Chefs Yassin und dem Mord an einer Journalistin wird Liina schon bald klar, dass die beiden mit ihren Recherchen auf etwas höchst Brisantes gestoßen sind, das auf keinen Fall an die Öffentlichkeit kommen darf. Je weiter die komplexe Geschichte voran schreitet, desto mehr müssen wir erkennen, dass hier nichts so ist, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Nach sehr aufschlussreichen Einblicken in Liinas Vergangenheit und einigen sehr überraschenden Enthüllungen und Wendungen nimmt die Handlung immer mehr an Fahrt auf und gipfelt schließlich in einem äußerst fesselnden und sehr unerwarteten Finale.
Das sehr überschaubare Figurenensemble mit interessanten, starken Frauenfiguren ist glaubwürdig und vielseitig ausgearbeitet, wobei allerdings einige Charaktere etwas blass bleiben. Sehr vielschichtig ist die Hauptfigur Liina angelegt, die mit ihrer kühlen, distanzierten Art aber auch ihren Stärken und Schwächen sehr authentisch und glaubwürdig wirkt, so dass man sich gut in sie hineinversetzen kann.

FAZIT
Ein beeindruckender, fesselnder und nachdenklich stimmender Near Future-Thriller mit einem beklemmenden und erschreckend realitätsnahen Szenario! Lesenswert!