stimmiges Zukunftsszenario

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Dr. Ortlepp zeigt auf Liinas Ausschnitt. „Wie kommen Sie zurecht?“ Einen Moment lang glaubt Liina, aufgeflogen zu sein. Das Kameraauge auf dem Brillenrahmen ist eigentlich nicht zu erkennen. Es sieht aus wie eine Verzierung, aber wer misstrauisch genug ist, wird sich denken, dass so ziemlich jeder Gegenstand zum Spionieren umgebaut sein kann. Auszug Seite 17

Der neue Thriller von Zoë Beck spielt genau wie „Die Lieferantin“ wieder in der nahen Zukunft, diesmal in Deutschland. In 100 Jahren haben einige Pandemien und Klimakatastrophen die Bevölkerung stark dezimiert. Bei gestiegenen Temperaturen sind die Küsten im Norden überschwemmt. Berlin ist nur noch Museum für Touristen und Frankfurt hat sich als Regierungssitz und das Rhein-Main-Gebiet zu einer einzigen Mega-City etabliert.

Der gläserne Mensch

Die Gesundheitsversorgung erfolgt durch eine App namens KOS, die mit Hilfe eines implantierten Chip permanent alle Vitalwerte überwacht, Untersuchungen anmahnt sowie Medikamenteneinnahmen verordnet. Dadurch können schwere Erkrankungen oft verhindert werden. Die Gesundheitsversorgung funktioniert einfach perfekt, so dass sich in der Bevölkerung kaum Widerstand über diese uneingeschränkte Transparenz regt. Es gibt aber noch einige wenige Menschen, die sich der völligen Überwachung entziehen. Diesen sogenannten „Parallelen“ geht es gesundheitlich entsprechend schlecht.

Während die Medien durch die totalitäre Regierung gleichgeschaltet wurden, gibt es noch einige wenige unabhängige Journalisten, die aus dem Untergrund agieren. So eine Agentur ist Gallus und zu ihr gehört Liina, die Hauptfigur. Sie wird von ihrem Chef und heimlichen Geliebten Yassin in die Uckermark geschickt, um bei einer Geschichte nachzuforschen, die sie für völlig banal hält. Eine Frau soll von einem Schakal angegriffen und getötet worden sei. Während Liina widerwillig in dem verödetem Hinterland recherchiert, hat ihr Chef einen schweren Unfall. Oder war es ein Selbstmordversuch? Yassin soll sich angeblich vor die U-Bahn gestürzt haben. Liina und ihre Kollegen können das nicht glauben. Noch misstrauischer werden sie, als eine weitere Investigativ-Journalistin des Nachrichtenportals Gallus tot aufgefunden wird. Liina versucht gemeinsam mit ihren Kollegen, Software-Spezialisten und Hackern die Hintergründe aufzudecken.


Stimmiges Zukunftsszenario

Die Autorin hält sich nicht mit langen Erklärungen auf, sondern informiert fast beiläufig über die von ihr geschaffene Welt. Sie nutzt viele Rückblenden auf Liinas Leben, um die Veränderungen zu erläutern. Obwohl ihr Zukunftsszenario durchaus stimmig wirkt und man sich alles so vorstellen kann, da es eine Fortschreibung der heutigen Entwicklung darstellt und vieles seinen Ursprung in der heutigen Zeit hat, habe ich das alles schon mal gelesen und auch besser. Mir fehlte es an Herzblut, Kreativität und den richtigen Wow-Momenten und es wirkte alles zu konstruiert. Selbst das handliche Smartcase als unentbehrliches Kommunikations- und Hilfsmittel bei allen Fragen des Lebens durfte nicht fehlen.

Der Schreibstil ist flüssig und ich habe den Thriller mit Interesse gelesen. So richtig spannend war es aber nicht und die brenzligen Situationen im Showdown wurden zu schnell abgehandelt. Es lag auch an den blutleeren Figuren, die mir zu stereotyp kreiert waren und auch zu hölzern agierten. Die genderneutrale Darstellung der Charaktere wirkte auch mich aufgesetzt und zu bemüht. Ich konnte nicht mit den Figuren mit fiebern, denn sie waren mir egal und ich habe sie auch ständig verwechselt.

„Paradise City“ ist für mich weniger ein Thriller als eine anschauliche Zukunftsvision, die einige interessante Fragen aufwirft. Aber dafür und auch um den Figuren mehr Tiefe zu geben, hätten ein paar Seiten mehr gutgetan.