Professor Tod, mit roten Schleifchen... wenn "Perfect Day" plötzlich so eine ganz andere Bedeutung kriegt

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
herrfabel Avatar

Von

Bei roten Schleifen denkt man häufig an Geschenke, doch in Romy Hausmanns Thriller "Perfect Day" ist es das genaue Gegenteil. Es sind Hinweise auf einen schmerzhaften Verlust, wenn nicht sogar das größte Unglück, das Eltern passieren kann. Der sogenannte Schleifenmörder führt Passanten oder zufällig Vorbeigekommene mittels roter Schleifen zu seinen Opfern. Seit etwa vierzehn Jahren treibt er schon in Berlin sein Unwesen. Und immer sind es Mädchen, zwischen sechs und zehn Jahren, die er an unterschiedliche, abgelegene Orte im Berliner Umland entführte und tötete. Lange tappte die Polizei im Dunkeln. Bis auf die Schleifen, die gleiche Tötungsart und ein paar Schuhabdrücke, gab es nie wirkliche Hinweise. Doch nun kommt endlich ein Stein ins Rollen, denn ein Spaziergänger will dem Mörder kurz nach seiner letzten Tat über den Weg gelaufen sein. Die Polizei fackelte nicht lange und nahm den fünfundfünfzigjährigen Anthropologen und international angesehenen Philosophieprofessor Walter Lesniak fest. Die wenigen Anhaltspunkte schienen zu passen. Für die Medien war des natürlich ein gefundenes Fressen. Sie nannten ihn das Monster oder “Professor Tod”, der barbarische Experimente an Kindern verübte, aber war es wirklich so einfach?

“Hast du dich jemals gefragt, ob der Mann aus der Zeitung, das >Monster<, wie sie ihn nennen, Familie hat? Hat er, Jakob. Nämlich mich. Ich bin die Tochter des mutmaßlichen Schleifenmörders, der in den letzten dreizehn Jahren neun kleine Mädchen entführt und getötet haben soll. Ich war dabei, als sie ihn verhaftet haben…”

Walter Lesniak verbrachte eben jenen Abend gemeinsam mit seiner Tochter Ann. Sie hatten Pizza bestellt und wollten gemeinsam einen netten Abend verbringen, als sich das Einsatzkommando auf ihn stürzte und abführte.
Ann glaubt nach wie vor nicht an die Schuld ihres Vaters, wahrscheinlich ist sie dabei fast die einzige. Und so versucht sie nun krampfhaft nach und nach Spuren zu entschlüsseln, dem echten Mörder auf die Schliche zu kommen und die Eltern ehemaliger Opfer zu befragen… praktisch, dass sie gerade erst einen Job in einem Fastfood-Restaurant angenommen hat, bei dem, wie sich jetzt herausstellt, die Mutter eines der früheren Opfer arbeitet, ihre Freundin, die vor zig Jahren einfach so verschwand, plötzlich wieder auf der Matte steht und helfen will und ihr Freund Jakob ihr nun erst recht zur Seite steht. Wobei… vielleicht haben sie alle auch ganz andere Absichten, nicht alles scheint wie es ist, Wahnvorstellungen, Verzweiflung, Angst kreuzen ihren Weg und am Ende? Wird man ihr Glauben schenken? Wir werden es sehen oder auch nicht, denn plötzlich taucht auch vor Anns Fenster eine kleine, unschuldige Schleife auf und ein weiteres Mädchen verschwindet… What a Perfect Day, nicht wahr?

“Rote Schleifenbänder, die als Wegweiser zu den Leichen dienten, und nun ein rotes Band, das an einen Trieb des alten Oleanders, auf unserer Terrasse geknotet ist. Für ein paar Sekunden stehe ich einfach nur da, starr und starrend und nicht fähig zu begreifen. Es ist wie bei einem Tsunami; sämtliche Gedanken und Gefühle ziehen sich in weite Ferne zurück, wo sie sich merterhoch sammeln, um anschließend auf mich zuzustürzen und mich niederwalzen.
Dann weiß ich es plötzlich: der Mörder. Er […] war hier.”

Ich finde ja an sich Romy Hausmanns Thriller schon sehr besonders und in den beiden Vorgängern Marta schläft und Liebeskind bewies sie eindrucksvoll was für durchtriebene Abgründe in den Menschen lauern und wozu Psychopathen so alles fähig sind. Und so auch hier. Ungewöhnlich fand ich zunächst die Herangehensweise, die Tochter ermittelt in einem Fall, der für die Polizei nun nach Jahren erfolgloser Suche, endlich abgeschlossen werden kann. Sie widersetzt sich einigen Vorschriften, klaut Dokumente und geht an so einigen Stellen viel zu weit und doch kommt der*die Leser*in gemeinsam mit ihr nach und nach dem ganzen Treiben und den Beschuldigungen auf die Spur. Im Zentrum der Beschreibungen stehen dabei nicht wie üblich der Täter oder die Opfer selbst, sondern die Angehörigen. Eben jene, die mit der ganzen Schuld, dem Schmerz und dem plötzlichen Verlust klarkommen mussten und sich dafür verschiedene Wege gesucht haben. Romy Hausmann zeigt hier fast schon ein buntes Potpourri aus Ausflüchten, psychischen Herausforderungen und sehr spezieller Trauerbewältigung.
Anns Perspektive, die Beschreibungen einer Verführung eines Kindes bzw. die Gedanken des Täters oder der Täterin, sowie Aufnahmen von Verhörgesprächen wechseln sich während des Lesens ab. Hin und wieder werden kurze, aufgeschriebene Begriffsdefinitionen der kleinen Ann über "Schrekk", "Endschlossenheit", "Einsamkeit"… mit eingestreut. Generell ist es ein sehr lebhafter Plot, bei dem garantiert keine Langeweile aufkommt und das Gefühl zwischen Angst, Beklemmung und Hoffnung auf die Lesenden überspringt. Ohne nun zu viel zu verraten, Perfect Day hat mich binnen weniger Seiten komplett in Beschlag genommen, gefordert, überrascht und das so ganz ohne große Blutrünstigkeit. Naja gut, die kurzen Beschreibungen wie die Mädchen an ihren Pulsadern aufgeschlitzt wurden und verbluteten, waren für mich, so als ungeübter Krimileser, schon recht viel, aber ansonsten habe ich die Wendungen, die sich plötzlich auftuenden Möglichkeiten und die Verfolgung schon sehr genossen und bis zum Schluss mit Ann mitgefiebert. Natürlich kann man nun an dieser oder jener Stelle sagen, dass mit Hausmann die Fantasie etwas durch ging, aber welcher Krimi oder Thriller entspricht schon hundertprozentig dem Möglichen? Für mich war es ein toller Ritt mit sehr tiefen Gedanken, neuen Blickwinkeln, vielen Abgründen und einem sehr spannenden, psychopathischen Spiel. Und vergleichend, ist es vielleicht dann sogar ihr bestes Buch. Nur schade, dass der Song “Perfect Day” nun hingegen so einen sehr grausamen Beigeschmack bekommt…