Erinnerungs-Perlen
Wie an einer Schnur aufgereiht, führt uns die Ich-Erzählerin durch prägende Begebenheiten ihres Lebens. Ihre Verwirrung beginnt, als ihre Mutter aus unerklärlichen Gründen spurlos verschwindet. Da ist Marianne acht Jahre alt und erlebte bis dahin mit ihrer Mutter eine wunderbare Zeit im Home-Schooling und bei der Versorgung ihres neugeborenen Brüderchens. Doch von nun an muss sie zur Schule gehen, in der sie sich gar nicht zu recht finden kann. Alles ist ungewohnt und sie fühlt sich falsch. Da sie keine Schuluniform hat, trägt sie einen bunten, von der Mutter selbst gestrickten Pullover, der Perlenschnüre am Ärmel hat und für den sie sich schämt. Sie zerbeißt Schnur für Schnur und schluckt die Perlen. Zunächst hat sie Sorge, dass die Mutter kommt und sie ausschimpft. Dann hofft sie, dass die Mutter zurück kommt und den Pullover mit ihr gemeinsam wieder repariert. Doch dann, mit der letzten zerbissenen Schnur wird ihr klar, dass ihre Mutter nie wieder kommen wird. Und dass sie eine schlechte Tochter ist.
An diesem Punkt manifestieren sich Trauma, Kummer und Einsamkeit der Protagonistin. In ihrem Bericht führt sie uns von da an durch ihr Leben, erzählt von ihrer Scham, die Mutter verloren zu haben. Es kommt ihr vor, als habe sie nicht gut genug auf sie aufgepasst, habe nicht bemerkt, wie und warum diese das Haus verließ, als sei sie Schuld am Verschwinden der Mutter.
An ihren Selbstzweifeln, ihrer Scham und Verwirrung lässt uns die Erzählerin ganz offen teilhaben. Sie weiß oft nicht, ob ihre Erinnerungen korrekt sind. Und der Autorin Siân Hughes gelingt es mit sanfter, poetischer Sprache, uns nahezu nebenbei die schrecklichen Selbstverletzungen, die Magersucht und den Drogenkonsum näher zu bringen, die Marianne als Ausweg aus ihren seelischen Schmerzen erscheinen. Von ihrer Freundin hochgradig manipuliert, erfährt sie eines Abends einen ersten Teil des bis dahin wohl gehüteten Familiengeheimnisses. Doch es soll noch Jahre dauern, bis sich die Spuren – wie Perlen an einer Schnur – zu einem Gesamtbild verdichten.
In der Zwischenzeit erleben wir Marianne weiterhin an sich zweifeln, aber auch dabei, wie sie sich der Verantwortung fürs Leben stellt, einen Hund adoptiert, an einer Kunsthochschule studiert, sich verliebt und ein Kind bekommt. Wir erleben re-traumatisierende Erfahrungen, die Mariannes Gedanken über sich und ihre Familie verändern und sie allmählich zu einem Menschen heran wachsen lassen, der seine eigenen Schwächen kennt und sich ihnen zu stellen versucht.
Marianne setzt sich hier sehr glaubhaft und jeweils ihrem Alter und ihrer Reflektionsebene entsprechend mit der Frage nach Schuld, Scham und der Weiterreichung von Trauma innerhalb der Familie auseinander. Das ist eine der großen Stärken dieses doch sehr tiefgreifenden Buches. In den Zwischentönen steckt Psychologie, doch sie kommt nie aufdringlich daher. Und man kann den Roman auch mit dem Fokus auf das Familiengeheimnis lesen, ohne sich zu sehr in diese traumatische Dimension verstricken zu lassen. All jenen, die ein Buch gern auf mehreren Ebenen lesen, ist dieser Roman jedoch vor allem wärmstens empfohlen.
Denn auch die Gedichte und Kinderreime, die Marianne von ihrer Mutter gelernt hat und die am Anfang eines jeden Kapitels stehen, bieten einiges zu entdecken. Ebenso, wie Mariannes Beziehungen zu ihrem Vater und jüngeren Bruder Joe, die zum Ende des Buches noch einmal neu beleuchtet werden. Alle diese Ebenen, die sich immer mehr verdichten und ihr Zusammenspiel aufzeigen, führen letztlich zum großen Finale des Buches.
Für mich ist es ein unheimlich mitreißendes Buch über Verlust, Trauma, Verarbeitung und Loslösung, das ich jedem, der an diesen Themen Interesse hat, empfehlen kann. Ich lese den Roman allerdings nicht so, dass Marianne sich erst als Erwachsene auf die Spur der Erinnerungen begibt (Angabe Klappentext). In meinen Augen (und das schreibt Marianne selber, wenn sie sagt, dass es unzählige Varianten ihres Berichts gibt) hat die Spur der Erinnerungen sie schon immer begleitet. Wie die Perlen an ihrem Pullover hat sie sich die Erinnerung einverleibt und verdaut nun Stück für Stück all ihre Erlebnisse, um sie in diesen Perlen-Text ihres Lebens zu gießen.
An diesem Punkt manifestieren sich Trauma, Kummer und Einsamkeit der Protagonistin. In ihrem Bericht führt sie uns von da an durch ihr Leben, erzählt von ihrer Scham, die Mutter verloren zu haben. Es kommt ihr vor, als habe sie nicht gut genug auf sie aufgepasst, habe nicht bemerkt, wie und warum diese das Haus verließ, als sei sie Schuld am Verschwinden der Mutter.
An ihren Selbstzweifeln, ihrer Scham und Verwirrung lässt uns die Erzählerin ganz offen teilhaben. Sie weiß oft nicht, ob ihre Erinnerungen korrekt sind. Und der Autorin Siân Hughes gelingt es mit sanfter, poetischer Sprache, uns nahezu nebenbei die schrecklichen Selbstverletzungen, die Magersucht und den Drogenkonsum näher zu bringen, die Marianne als Ausweg aus ihren seelischen Schmerzen erscheinen. Von ihrer Freundin hochgradig manipuliert, erfährt sie eines Abends einen ersten Teil des bis dahin wohl gehüteten Familiengeheimnisses. Doch es soll noch Jahre dauern, bis sich die Spuren – wie Perlen an einer Schnur – zu einem Gesamtbild verdichten.
In der Zwischenzeit erleben wir Marianne weiterhin an sich zweifeln, aber auch dabei, wie sie sich der Verantwortung fürs Leben stellt, einen Hund adoptiert, an einer Kunsthochschule studiert, sich verliebt und ein Kind bekommt. Wir erleben re-traumatisierende Erfahrungen, die Mariannes Gedanken über sich und ihre Familie verändern und sie allmählich zu einem Menschen heran wachsen lassen, der seine eigenen Schwächen kennt und sich ihnen zu stellen versucht.
Marianne setzt sich hier sehr glaubhaft und jeweils ihrem Alter und ihrer Reflektionsebene entsprechend mit der Frage nach Schuld, Scham und der Weiterreichung von Trauma innerhalb der Familie auseinander. Das ist eine der großen Stärken dieses doch sehr tiefgreifenden Buches. In den Zwischentönen steckt Psychologie, doch sie kommt nie aufdringlich daher. Und man kann den Roman auch mit dem Fokus auf das Familiengeheimnis lesen, ohne sich zu sehr in diese traumatische Dimension verstricken zu lassen. All jenen, die ein Buch gern auf mehreren Ebenen lesen, ist dieser Roman jedoch vor allem wärmstens empfohlen.
Denn auch die Gedichte und Kinderreime, die Marianne von ihrer Mutter gelernt hat und die am Anfang eines jeden Kapitels stehen, bieten einiges zu entdecken. Ebenso, wie Mariannes Beziehungen zu ihrem Vater und jüngeren Bruder Joe, die zum Ende des Buches noch einmal neu beleuchtet werden. Alle diese Ebenen, die sich immer mehr verdichten und ihr Zusammenspiel aufzeigen, führen letztlich zum großen Finale des Buches.
Für mich ist es ein unheimlich mitreißendes Buch über Verlust, Trauma, Verarbeitung und Loslösung, das ich jedem, der an diesen Themen Interesse hat, empfehlen kann. Ich lese den Roman allerdings nicht so, dass Marianne sich erst als Erwachsene auf die Spur der Erinnerungen begibt (Angabe Klappentext). In meinen Augen (und das schreibt Marianne selber, wenn sie sagt, dass es unzählige Varianten ihres Berichts gibt) hat die Spur der Erinnerungen sie schon immer begleitet. Wie die Perlen an ihrem Pullover hat sie sich die Erinnerung einverleibt und verdaut nun Stück für Stück all ihre Erlebnisse, um sie in diesen Perlen-Text ihres Lebens zu gießen.