Sehr emotional

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penigram Avatar

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Ich kenne Metins Kurzvideos - wie viele, schätze ich - und habe mich daher sehr gefreut, dieses Buch vorab besprechen zu dürfen. Ich wusste nicht so recht, was mich erwartet, und bleibe nun, da ich das Buch innerhalb von zwei Stunden beendet habe, überrascht, aber auch emotional zurück.

Ich tue in dieser Rezension etwas, das ich in der Regel nicht tue, und gehe so gut wie nicht auf die dramaturgische oder stilistische Gestaltung des Buches ein. Obwohl diese hier und da noch Schliff hätte vertragen können, jeweils nach meinem Dafürhalten, sind für mich persönlich beim Lesen all solche Aspekte in den Hintergrund getreten.

Wer dieses Buch liest, spürt, dass dem Autor die Themen, über die er schreibt, sehr nahe gehen. Und so ging es mir auch. Ich habe selbst gegen eine psychische Erkrankung gekämpft - und gewonnen. Der Trick war, die die Krankheit nicht mehr wegzudrücken, sondern sie endlich zu verstehen und fürsorglich mit mir umzugehen.
Dieses Buch nimmt sich des Themas psychische Erkrankungen auf sehr emphatische und nahbare Weise an und beschreibt sie vor dem Hintergrund eines fordernden und stressigen Pflegealltags. In vielen der beschriebenen Situationen konnte ich mich wiederfinden, obwohl ich nicht einmal lange im Gesundheitswesen tätig war. Aber viele der beschriebenen Szenarien werden auch Menschen anderer Berufe wiedererkennen.

Das Buch bietet einen Einblick in den Pflegealltag, aber sein Hauptthema liegt in den mannigfaltigen psychischen und körperlichen Belastungen, denen Pflegekräfte ausgesetzt sind. Ich denke, vieles lässt sich, eingeschränkt, auch auf andere Berufe übertragen, und das macht dieses Buch universeller, als es im ersten Moment scheint. Hier und da hätte ich mir vielleicht noch mehr Einblicke in den Pflegealltag gewünscht, aber dafür werden hier wichtige Themen angesprochen. Diese werden dann auch mit Wortmeldungen anderer Pflegekräfte sowie mit teilweise wirklich schockierenden Anekdoten untermalt.

Besonders gut gefallen hat mir, dass der Autor so stark auf das Thema Mobbing eingeht. Das mag sicherlich an seiner eigenen Hintergrundgeschichte liegen. Mobbing im Beruf ist ein Thema, das viel zu oft unter den Teppich gekehrt und ignoriert wird, dabei ist es unwahrscheinlich verbreitet. Die dahinterstehenden Mechanismen werden hier nicht aus fachlicher sondern aus menschlicher Sicht beschrieben, häufig anekdotisch, und so viele dieser Situationen, die in diesem Buch auftauchen, habe ich selbst bereits so ähnlich beobachten können - und zwar in anderen Berufszweigen. Berufsanfänger, die von älteren Kollegen rausgemobbt werden? Check. Fachkräfte, die wissentlich sabotieren, um sich selbst dann als Retter in der Not darstellen zu können? Check. Mitarbeiter, die angefeindet und regelrecht fertiggemacht werden, sobald irgendjemandem auffällt, dass sie noch Interessen, Ziele und Hobbys neben ihrem Beruf haben? Check. All das gibt es, und es ist viel verbreiteter als wir es uns oftmals eingestehen wollen. Dafür, dass dieses Buch dieses Thema auf so emphatische und realitätsnahe Weise bearbeitet, gibt es einen großen Daumen nach oben von mir.

Noch ein Wort zum Schluss: Viele Bücher, die derart schwere Themen bearbeiten, kranken daran, dass sie melodramatisch, fast schon weinerlich, geschrieben werden, und völlig nachvollziehbare Emotionen derart überbetonen, dass sie am Ende nicht mehr beim Leser ankommen. Dieses Buch begeht diesen Fehler nicht. Die Schilderungen kamen oft aufgrund ihrer Sachlichkeit besonders gut bei mir an. Der Autor scheint sehr emphatisch und feinfühlig zu sein, denn obwohl die stilistische Ausgestaltung mich hin und wieder die Stirn hat runzeln lassen, schafft er es mit wenigen, einfachen Schilderungen, deutliche Emotionen auszulösen.

Alles in allem ein wirklich lesenswertes Buch mit einer klaren Botschaft: Psychische Erkrankungen müssen ernstgenommen werden, dürfen kein Tabu mehr sein. Sie sind kein schmutziger, verborgener Teil unserer Gesellschaft, der nur einige wenige Unglückliche trifft. Sie sind überall, und wir müssen uns mit ihnen beschäftigen.