Starke Frauen (incl. der Autorin)

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chrystally Avatar

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Gwen wird von ihrer Tante zu einer Reise in die ehemalige Heimat ihrer Familie mitgenommen und deckt im Gespräch mit Familienmitgliedern und dem Lesen in alten Dokumenten die schwierige Freundschaft zwischen der leiblichen und der Ziehmutter ihrer Mutter auf.
Elisabeth Sandmann erzählt zwei Geschichten: die der Freundinnen Ella und Ilsa, die ungleicher nicht sein könnten und trotzdem Zeit ihres Lebens über Kriege und familiäre Verwicklungen hinweg miteinander verbunden sind. Und die von Gwen, die diese gemeinsame Geschichte 70 Jahre später ans Tageslicht holt. Der Erzählstil ist atmosphärisch und emotional, dabei jedoch immer elegant und nie undifferenziert oder überladen. Ich konnte die Handlungsorte und Protagonistinnen vor meinem inneren Auge sehen, so lebendig, wie Sandmann von Räumen, Stoffen, Kleidungsstücken und Essen erzählt, und mich in die Figuren einfühlen, insbesondere wenn sie selbst von den Entwicklungen überrannt schienen.
Die mutige Ella aus einfachen Verhältnissen, die es dank starker Fürsprecherinnen schafft, sich die Welt zu eröffnen, kann man überhaupt nicht nicht mögen. Und auch die exaltierte Ilsabe kann man auf ihre eigene verschrobene Art verstehen. In der aufgedeckten Familiengeschichte ist es bisweilen gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten – da hilft auch das Lesezeichen mit einer Auflistung der wichtigsten Charaktere nicht, ich habe mir tatsächlich irgendwann einen Stammbaum gemalt, auf dem ich immer wieder gespickt hab. Das macht die Geschichte jedoch nicht weniger fesselnd, und auch wenn man manches voraussehen kann, bleibt es bis zuletzt spannend und die Schicksale der Beteiligten berührend. Eingebettet werden sie in zeitgeschichtliche Zusammenhänge, über die man dadurch auch nochmal manches (wieder) lernt. Das meiste erfahren wir aus den Tagebüchern von Ella – hier fand ich es schade, dass Sandmann die Chance nicht genutzt hat, Ella selbst erzählen zu lassen, sondern die Geschichte aus der dritten Person erzählt. Viel lieber hätte ich es aus Ellas Feder erfahren, wie sie die Geschehnisse erlebt hat.
Die Handlung rund um Gwen, die die Familiengeschichte aufdeckt, fand ich im Wesentlichen auch schön zu lesen. Man leidet mit in ihren Drang, endlich Klarheit über die Fragezeichen zu ihrer Vergangenheit zu bekommen, und die Begegnungen mit ihren differenziert gezeichneten Verwandten und Freunden waren glaubwürdig darin, wie Gwen um Antworten ringen musste. Aus wie vielen Winkeln plötzlich Dokumente, Fotos etc. auftauchen, oder wie Gwen rein zufällig auf einen ziemlich alten Katalog stößt, der sie auf eine entscheidende Fährte führt, das fand ich allerdings überzogen, genau wie der kitschige Epilog, den es für meinen Geschmack nicht gebraucht hätte – das beides hat meine Lesefreude getrübt.
Insgesamt jedoch eine bewegende Familiengeschichte mit ungekünsteltem Fokus auf verschiedene beeindruckende Frauen und einem tollen Schreibstil, von dem ich gerne mehr lesen möchte. Aufgrund der Komplexität klare Leseempfehlung für Menschen, die Familien- und Detektivgeschichten gleichermaßen mögen.
Disclaimer: Ich habe das Buch als kostenloses Rezensionsexemplar vom Verlag erhalten. Dies beeinflusst meine Rezension nicht.