Königin und Kaiserin

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The important thing is not what they think of me, but what I think of them. (Queen Victoria)

In der Biographie "Queen Victoria. Das kühne Leben einer außergewöhnlichen Frau" beschäftigt sich die australische Historikerin Julia Baird mit der berühmten Königin und Kaiserin, die einem ganzen Zeitalter ihren Namen gegeben hat. Queen Victoria gilt als prüde, ewig trauernde und zurückgezogene Matrone – war sie das wirklich? Mit nur 18 Jahren bestieg sie den Thron. Mit 20 heiratete sie Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, mit dem sie neun Kinder hatte. Sie liebte Sex. Und sie setzte ihre Macht bewusst ein. Sie überschritt konventionelle Grenzen, äußerte klar ihre Meinung – und begann nach dem Tod ihres geliebten Albert eine intime Beziehung mit ihrem Diener John Brown. Die Frau, die schon zu Lebzeiten einem ganzen Zeitalter ihren Namen gab, verkörperte selbst gerade nicht die bürgerlichen Traditionen und Konventionen, für die das viktorianische Zeitalter steht.

Bei der Gestaltung des Schutzumschlages hat man sich an einem Schmuckstück der National Gallery in London orientiert. Das Cover zeigt ein berühmtes Gemälde der jungen Königin, das Franz Xaver Winterhalter geschaffen hat. Es wirkt weit weniger repräsentativ, wie man es bei ihrem hohen Rang erwarten könnte. Mit dem dunkel schimmernden Haar, das lose über ihre linke Schulter fällt, wirkt Victoria empfindsam, weich, verträumt und - shocking indeed - sinnlich. Der englische Titel ist in der deutschen Übersetzung beibehalten worden. Er ist sachlich und schlicht, wie es sich für eine wissenschaftliche Biographie gehört. Trotzdem baut der vielsagende Untertitel eine gewisse Spannung auf. Denn er verweist auf die exponierte Stellung der britischen Herrscherin, die eine besondere Rolle in der Weltgeschichte einnimmt.

Leider ist die Quellenlage nicht so gut, wie man es auf den ersten Blick glauben möchte. Zwar hat Queen Victoria viele Aufzeichnungen (Briefe, Tagebücher, Publikationen) hinterlassen. Aber ihre Nachkommen haben das vorhandene Material einer strengen Zensur unterzogen und wichtige Unterlagen vernichtet, welche die berühmte Herrscherin in einem "unangemessenen" Licht gezeigt hätten. Dies gilt insbesondere für ihre umstrittene Beziehung zu ihrem Diener John Brown und einem indischen Munshi. Auch in der heutigen Zeit unterliegt die Nutzung der Archive strengen Auflagen, und alle Historiker müssen sich gegen Maßregelungen wehren.

Trotz dieser Schwierigkeiten hat Julia Baird gründlich recherchiert und eine Fülle von interessantem Material zusammengetragen, das sie für ihre Leser gut aufbereitet hat. Mit Hilfe von Stammbäumen werden die komplizierten familiären Verhältnisse erläutert, und dank vieler Abbildungen und Karten wird der mit vielen Fußnotengespickte wissenschaftliche Text aufgelockert. Julia Baird gibt nicht nur einen Einblick in die gesamte Epoche, sondern lässt auch die Portraitierte selbst in gut ausgewählten Zitaten zu Wort kommen.

Julia Baird schreibt in einem gut lesbaren Stil und lässt eine längst vergangene Ära lebendig werden. Inhaltlich lässt sich dieses 608 Seiten umfassende Werk in mehrere Sinnabschnitte gliedern, welche die wichtigsten Phasen im Leben von Victoria spiegeln. Für mich war es ein faszinierendes Erlebnis, den Menschen hinter der Maske der Herrscherin kennenzulernen, und ich spreche eine klare Lese-Empfehlung aus