Spannend wie ein Krimi

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tochteralice Avatar

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ist Julia Bairds Biographie der Königin Victoria von England, nein, natürlich der Königin des British Empire, war sie doch Herrscherin über ein ganzes Imperium. Immerhin fällt ihr Regiment in die Zeit des Imperialismus und Kolonialismus.

Victoria war Königin in einer Zeit, in der eigentlich nur Männer das Zepter in der Hand hielten - sowohl im eigentlichen als auch im übertragenen Sinne. Und auch, wenn ihr Vater bereits bei ihrer Geburt Visionen von ihr als Königin hatte, war sie für die britische Thronfolge doch keineswegs gesetzt. Bei ihrer Geburt die Nummer fünf, wuchs sie ohne ihren ehrgeizigen Vater, den sie - um vieles älter als ihre Mutter Victoire von Sachsen-Anhalt - bereits im Alter von einem Jahr verlor. Die eingeheiratete Deutsche war nicht unbedingt beliebt und hatte bei Hofe vor allem keine Lobby.

Wie es doch dazu kam, dass das Mädchen Victoria zur Herrscherin über ein Riesenreich, das aus vielen verschiedenen Staaten bestand, schildert die australische Historikerin Julia Baird in ihrer ausführlichen Biographie aufs Eindrucksvollste. Ihr unterhaltsamer, eindringlicher Stil, was die Angelsachsen für ein unglaubliches Talent haben, Spannung und Pep in Sachbücher hineinzubringen. Natürlich, auch ohne einen Hauch der Wissenschaftlichkeit einzubüßen!

Was für eine unglaublich spannende, vielschichtige Person Königin Victoria war, das erfährt man bereits in der sehr anschaulichen Einführung, die mir große Lust gemacht hat, weiterzulesen. Die Darstellungen sind garniert mit zahlreichen eindrucksvollen Bildern, zunächst sind es Zeichnungen und Gemälde, dann mehr und mehr Fotos - ja, es war auch die Zeit der Industrialisierung, die während des langen Regiments der Herrscherin - über 63 Jahre war sie im Amt - in voller Blüte stand und viele, viele ganz neuartige Probleme sozialer Art mit sich brachte, die man so nicht erwartet hatte.

Victoria erfüllt in vielerlei Hinsicht die Klischees, die man mit ihr in Verbindung bringt - doch in weitaus mehr Fällen tut sie es eben nicht! Es gibt viel, viel Überraschendes, was man erfährt, sowohl über ihre Ehe mit Albert von Sachsen Coburg und über anderweitige familiäre Zusammenhänge als auch über das politisch-gesellschaftliche Gefüge jener Zeit.

Der Leser muss sich einmal vor Augen halten, was die 1819 geborene Victoria alles miterlebt hat und was sie geprägt hat. Das betrifft nicht nur mannigfaltige historische Ereignisse, sondern auch ihre zu ganz überwiegenden Teilen deutsche Herkunft und Prägung, die durch die Heirat noch gefestigt wurde. Warum sie trotzdem für England steht wie kaum ein(e) andere(r) - nun, lesen Sie selbst, sie werden es nicht bereuen.

Denn Julia Baird verfügt über eine große erzählerische Kraft, durch die sie aus ihren akribischen Recherchen gepaart mit klugen Analysen und Überlegungen die Biographie einer zentralen Herrscherfigur des 19. Jahrhunderts geschaffen hat, die zu einem der wegweisenden Werke zur Europäischen Geschichte insgesamt werden könnte. Auf jeden Fall ein Meilenstein, aber kein belastender, sondern ein stilistisch so leichtfüßig tänzelnd daherkommender, dass man gar nicht merkt, wie flüssig sie sich lesen lässt - bis man feststellen muss, dass man bereits durch ist. Und auf einen ausführlichen Anhang mit zahlreichen Belegen stößt, bei dem ich nur eine Zeitleiste mit Überblicksdaten zu Victorias Leben vermisst habe.