Schonungslos & spannend

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Dieses Mal sieht sich Huldar mit einem besonders perfiden Fall konfrontiert. Ein junges Mädchen wird auf der Toilette im Kino brutal ermordet. Ihre letzten Minuten können alle ihre Freunde auf Snapchat mit ansehen. Psychologin Freyja, die neben ihrem Job im Kinderhaus auch ein BWL-Studium begonnen hat, kommt schnell auf die Idee, dass der Fall etwas mit Mobbing zu tun haben könnte. Doch so richtig will ihr keiner glauben. Das liegt auch daran, dass Huldars Vorgesetzte Erla Freyja nicht leiden kann und deshalb schon mal gar nichts auf ihre Meinung gibt. Doch als ein zweites Opfer auf ähnliche Weise verschwindet und auch hier wieder Snaps gesendet werden, verdichten sich die Hinweise. Nur kennen sich die Opfer nicht und es gibt scheinbar keinen Zusammenhang.

Ich mag Huldar und Freyja sehr, weil sie Charaktere mit Ecken und Kanten sind. Ein bisschen wünsche ich mir ja schon, dass zwischen den beiden mal was passiert. Seit ihrem One-Night-Stand im ersten Band, bei dem Huldar einen falschen Namen genannt hat, schleichen sie umeinander herum. Gleichzeitig mag ich es aber auch, dass eben nichts passiert. Freyja plagt sich damit, dass sie in ihrem Leben etwas ändern will. Das BWL-Studium soll ein erster Schritt sein und mit diesem tut sie sich unglaublich schwer. Da ist sie schon wieder froh, von Huldar um Hilfe gebeten zu werden.

Huldar hat hingegen auf dem Kommissariat zu kämpfen. Mit seinem Teamgefährten Guðlaugur versteht er sich ganz gut und sie ergänzen sich prima. Allerdings macht Erla, mit der er eine Liebesbeziehung hatte, ihm nach wie vor das Leben schwer. Das geht so weit, dass sie ihn mit langweiligen Alltagsaufgaben abspeist, obwohl ein Mordfall aufzuklären und ein Junge verschwunden ist und Huldars jahrelange Erfahrung hier viel eher von Nutzen wäre.

Das Thema Mobbing wird bei „R.I.P.“ schonungslos und realistisch umgesetzt. Yrsa Sigurðardóttir nimmt hier kein Blatt vor den Mund und zeigt auf vielfache Weise, wie sehr Opfer unter den Grausamkeiten ihrer Altersgenossen zu leiden haben – auch Jahre später noch. Im Grunde wird auch Mobbing am Arbeitsplatz thematisiert, wenn auch ohne zu sehr in den Fokus zu rücken. Allerdings hält sich die Autorin im Gegensatz zu den beiden Vorgängern mit detaillierten, grausamen Beschreibungen der Morde eher zurück und findet damit auch wieder zu ihren Anfängen, was mir sehr viel besser gefällt.

Mir hat „R.I.P.“ sowohl thematisch als auch erzählerisch sehr gut gefallen. Zeitweise war ich sogar mal auf dem richtigen Dampfer, was einen wichtigen Aspekt der Lösung des Falls betrifft. Hier kam nicht alles überraschend und man konnte sich einiges zusammenreimen. Interessant fand ich auch die Darstellung der Polizeiarbeit, inwiefern die Befindlichkeiten die Arbeit beeinflussen und das eben nicht immer alles reibungslos funktioniert, sondern auch hier der Alltag ermüdet, Fehler passieren und es zwischenmenschlich kriselt.

Yrsa Sigurðardóttir hat mich mit „R.I.P“ gut unterhalten und zum Nachdenken gebracht – wenn auch nicht mit der erhofften atemlosen Spannung.

© Tintenhain
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