Der äußere und der innere Glaubenskrieg

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Lutfi Latif, der “Shootingstar der weltweiten Gemeinschaft der Exilmuslime, ist als Abgeordneter der Grünen in den Bundestag gewählt worden. Nachdem selbst Barack Obama auf ihn aufmerksam geworden ist und Latif diesem bei seiner zweiten Kairoer Rede geholfen hat, wird er von fast allen “Topkadern, die bei al-Qaida etwas zu sagen haben” als “gefährlich” und “schandhaft gebrandmarkt”. Als Latif dann tatsächlich während einer Fernsehübertragung einem Bombenanschlag zum Opfer fällt, vermuten Polizei und Politik die Mörder ganz selbstverständlich in den Reihen der Terroristen. Nicht so Sumaya al Shami und Samuel Sonntag. Latifs Assistentin und sein Sicherheitsberater haben den begründeten Verdacht, dass eine ganz andere Organisation hinter dem Verbrechen steckt.

 

Yassin Musharbash nimmt sich Zeit Figuren und Handlung zu entwickeln.

Niklas Weissenthal, drogensüchtiger Abiturient hat eine zweite Leidenschaft. Die Chemie. Mit dieser verdient er sich das Geld für seine Sucht, indem er Sprengstoff selbst produziert und verkauft. TATP beispielsweise. Die letzte Einheit verkaufte er an einen Araber. Nun plagt ihn sein Gewissen. Er denkt er hat die Minibombe einem Terroristen überlassen. Sumaya, eine muslimische Politikstudentin mit palästinensischen Eltern, bereitet sich auf ein Vorstellungsgespräch bei dem neu gewählten Abgeordneten der Grünen vor. Mit arabischem Essen zum Frühstück, statt Nutellabrot. Das erfolgreiche Vorstellungsgespräch das Sumaya später mit Latif führt ist äußerst interessant. Sie wird eingestellt, gerade wegen ihrer sehr eigenen Vorstellungen von Toleranz gegenüber Migranten oder Mitbürgern anderer Herkunft. Samuel Sonntag alias Samson, der studierte Arabistiker und Terrorismusexperte, taucht in der Ostsee um dort die Stille wiederzufinden. Auf seinem Dachboden lebt er über seine drei Rechner in verschiedenen Parallelwelten, die ihn nicht zur Ruhe kommen lassen.

 

Der Berliner Politbetrieb wird zu Beginn ebenfalls genau unter die Lupe genommen. Es fällt auf, dass der Autor über fundiertes Hintergrundwissen verfügt. Er zeichnet charakteristische Bilder der Stadtteile sowie der Menschen die darin leben. Wedding, Kreuzberg, Berlin Mitte, Prenzlauer Berg. Gutmenschen, Migranten, Araber, Türken, Kurden.

 

Den Zündstoff der sich durch Islamfeindlichkeit und Terrorangst unter den deutschen Bürgern ausbreitet. Gewaltbereite Keimzellen, die sich in sog. Salons verbal auf einen ganz eigenen Glaubenskrieg vorbereiten, bevor sie ihn in die Tat umsetzen. Im Gegensatz dazu die charmante und elegante Weltstadt mit flanierenden Touristen und einem Zentrum der Macht das längst schon unterwandert zu sein scheint. Musharbash formuliert geschliffen, einfach und glaubwürdig. Als Außenstehender fragt man sich unwillkürlich, ob sein kann was einem hier so einleuchtend beschrieben wird.

Wer sich in der letzten Zeit für die Themen Ausländerpolitik, Islam, Migration und Integration interessiert hat, wird hier auf spannende Weise unterhalten aber auch umfassend informiert. Manchmal mutet der Inhalt wie ein Vokabeltrainer an, wenn Begriffe wie Islamhasser, Islamophobie oder Islamkritiker erläutert und unterschieden werden. Ebenso beeindruckt die teils philosophische Tiefe der Gedanken: „Sumaya wusste genau was ihre Mitbewohnerin so verletzt hatte. Es war der Fluch. Der Fluch der darin bestand, dass man nicht dazugehören wollte, wenn die anderen darauf bestanden; und zugleich darauf bestand dazuzugehören, wenn die anderen es für eine Unmöglichkeit hielten. Der Fluch dass man nicht wusste und nie wissen würde, wer man ist.“

 

Am Ende besticht wohl vor allem die überzeugende Darstellung des “was wäre wenn”! Die schnörkellose Beschreibung der Folgen eines Terroranschlages in Deutschland. Die Reaktionen der Menschen auf den Straßen, die lakonische Kaltblütigkeit der Medien, die Verlogenheit der Politik und der Einsatz einiger weniger, so wie Sumaya und Samuel, die den Glauben an das Gute im Menschen noch nicht aufgegeben haben.