Gevatter Zufall zieht die Fäden

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Michael Tietz "Rattentanz" rührt an unsere ureigensten Ängste. Was passiert, wenn meine Welt so wie ich sie kenne im Chaos versinkt? Wenn Ordnung und Sicherheit außer Kraft gesetzt werden, durch Umstände die vom Menschen nicht mehr beeinflussbar sind?

Wellendingen. Ein kleiner Ort im Südschwarzwald, nahe an der schweizerischen Grenze. Malerisch gelegen. Ruhig, idyllisch. Eva sitzt am Frühstückstisch. Es ist der 22. Mai. Ihr Mann Hans muß für zwei Tage geschäftlich nach Schweden. Sie selber ist unschlüssig, ob sie ihn noch vor seiner Abreise darüber informieren soll, dass sie erneut schwanger ist. Sie entscheidet sich, ihn erst nach seiner Rückkehr zu informieren.

Frühstückszeit am 23. Mai. Lea, Evas und Hans kleine Tochter, nimmt ihre Morgenmahlzeit bei den Nachbarn Frieder und Susanne Faust ein. Das übliche Arrangement wenn beide Eltern arbeiten. Das Telefon klingelt. Leas Vater ist dran. Plötzlich bricht die Verbindung ab. Das Telefon schweigt. Ebenso das Radio. Das Licht geht nicht mehr an und aus dem Wasserhahn kommt kein Tropfen mehr. Frieder geht vor das Haus um sein Handy aus dem Auto zu holen. Er wird Zeuge eines Flugzeugabsturzes in unmittelbarer Nähe des Ortes. Noch während er mit seinem Sohn Bubi und einigen Nachbarn im Auto unterwegs ist um an der Absturzstelle erste Hilfe zu leisten, stürzt direkt vor Ihnen das nächste Flugzeug ab.

All diese Ereignisse sind das Resultat einer Handlung die 400 Tage vorher in Hamburg eingeleitet wurde. Axel und Lars, zwei Abiturienten, wollten eigentlich nur ihren Schulcomputer lahmlegen um die Abiturprüfung zu verhindern. Mit einem einfachen aber genialen Plan. Je eine verseuchte e-mail an den Hausmeister der Schule, die Sekretärin und den EDV-Lehrer setzen ein Virus in Kraft das aus drei winzigen Komponenten besteht.  In 40 Tagen sollen diese drei Komponenten das Betriebssystem der Schule lahmlegen. Eine 0 zuviel macht aus 40 Tagen 400. Und aus einem kleinen Betrugsversuch eine globale Katastrophe. Das Virus hat über ein Jahr Zeit sich unerkannt weltweit in den verschiedensten Computersystemen einzunisten. Am 23. Mai läuft der Countdown ab. Das Inferno beginnt. 

Michael Tietz "Rattentanz" beginnt langsam, fast verhalten. Ausführlich stellt er dem Leser seine Hauptprotagonisten Hans und Eva vor. Schildert ihr normales, harmonisches Familienleben. Spart aber auch nicht mit Andeutungen. Warum ist es für Eva so schwer Hans mitzuteilen, dass sie wieder schwanger ist. Auch den Tag des "Weltunterganges" lässt der Autor an einem Frühstückstisch beginnen. Doch wie anders stellt sich die Situation hier da. Frieder und Susanne Faust sind das genaue Gegenteil eines harmonischen Paares. Älter, verbraucht. Er dominant, sie duckmäuserisch. Tietz skizziert seine Personen kurz aber prägnant. Verleiht ihnen ein Gesicht und eine Aura. Lässt den Leser teilnehmen und verstehen.

Mit wachsender Spannung verfolgt man die Ereignisse. Geht im Kopf bereits die eigenen Reaktionen durch. Was würde ich machen wenn? Behutsam und unaufdringlich schraubt er die Erwartung nach oben. Lässt es sich nicht nehmen, sachlich und ausführlich den Weg des Virus und seine technischen Einzelheiten zu erklären. Gut gemacht, denn das erhöht die Glaubwürdigkeit und steigert das Entsetzen des Lesers. So einfach ist das?

Die Leseprobe ist an sich relativ lang. Und doch nicht lang genug. Denn genau in dem Moment, wo man dieses Buch eigentlich nicht mehr aus der Hand legen will, endet sie.