Tolle Idee - Umsetzung mit Mängeln

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waldeule Avatar

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Endlich – das ist meine vorherrschende Empfindung nach Beendigung dieses mit 837 kleinbeschriebenen Seiten doch dicken Schmökers. Und das, obwohl ich das Buch gerne gelesen habe und die Grundidee nach wie vor gut finde. Aber es las sich streckenweise mühsam und zog sich in die Länge.

Dies ist vor allem auf die zu vielen „zuviels“ zurückzuführen. Es waren nicht nur zu viele Seiten, sondern auch zu viele Charaktere mit zu vielen Hintergrundgeschichten, zu viele Namen, zu viele Übertreibungen,  zu ausführliche Szenen und Beschreibungen und vor allem auch zu viel Brutalität. Ich stimme allen meinen Vorrednern zu, die der Meinung sind, das Buch um einiges zu kürzen wäre kein Verlust der Grundaussage gewesen. Zu viel waren auch die Hauptprotagonisten, um die sich das Buch dreht. Eine Fokussierung auf zwei oder drei Personen, die dann durchgehend im Mittelpunkt stehen, hätte sicher mehr Spannung erzeugt. Es gab zu wenige Charaktere, die sich glaubhaft entwickeln, und zu viele, die von Anfang an gute Helden oder miese Bösewichte sind.

Einzigartig an der Geschichte ist wohl der Zeitpunkt, an dem sie einsetzt. Es wird nicht in allerletzter Minute die Katastrophe verhindert, nein, das Buch beginnt ohne Vorrede mit der Minute 0, als es dunkel wird auf unserem Planeten und die Technik fast vollends versagt. Gerade diese Thematik macht das Buch so interessant. Der Autor schildert viele seiner Gedanken, wie das Leben „danach“ weitergehen könnte – düstere Zukunftsaussichten und mit einem sehr negativen Menschenbild. Ob es wohl wirklich so wäre? Um diese Frage kommt der Leser nicht herum und jeder kann sich seine eigenen Gedanken machen: „Was wäre wenn?“ Aber Michael Tietz stellt noch mehr Fragen in seinem Buch, über die es sich zu Nachdenken lohnt: Was bin ich bereit, für mein Überleben und für das meiner Kinder zu tun? Wie stabil sind soziale Geflechte? Welche Fähigkeiten zum Überleben könnte ich beitragen? Wann ist Gewalt tolerabel? Wer richtet Verbrecher, wenn es weder Polizei, Staat noch Justiz gibt? In den Wochen, in denen ich das Buch las, sind mir immer wieder Situationen aufgefallen, in denen ich bewusst darüber nachgedacht habe, welchen Luxus wir eigentlich besitzen: jederzeit Strom, fließend Wasser und vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten; eine funktionierende Regierung mit ihren Organen wie Polizei und Feuerwehr und vor allem auch die Möglichkeit, täglich an Lebensmittel zu kommen. Außerdem müssen wir nicht gegen ethische und moralische Bedenken handeln, um zu überleben. Was bei mir auch zu der Frage führte: Kann ich über Leute richten, ohne deren Lebensumstände zu kennen? Und außerdem: Was würde ich in einer Situation tun, in der es wirklich ums Überleben geht. Das Buch wirft also viele Fragen auf, die sich jeder einmal stellen sollte.

Fazit: Schade, dass dieses äußerst spannende Thema und die vielen Gedankenimpulse durch den langatmigen Schreibstil getrübt werden. Weniger von fast allem hätte der Lesbarkeit des Buches gutgetan. So gibt’s gerade noch ein "gut".