Was ist echt und was ist Fernseher?

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mammutkeks Avatar

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Ein 14 qm großer Raum ist das Zuhause von Jack und seiner Ma. Jack ist gerade fünf geworden - und kennt nur Raum, Ma und Old Nick, den Mann, der regelmäßig nachts kommt und überschaubare Vorräte und an Sonntagen so genannte Guttis bringt. Was Jack nicht weiß, ist, dass Old Nick seine Mutter sieben Jahre zuvor entführt und in den abgeschirmten Raum gesperrt hat. Was er ebenfalls nicht weiß, ist, dass dieser Mann sein Vater ist, denn seine Mutter schirmt ihn mit allen Mitteln von diesem ab.

In der Zwischenzeit hat sie sich ein Leben in den beengten Verhältnissen aufgebaut. Anstatt der für "normale" Kinder üblichen Spielzeuge wird aus Konserven, Eierschalen und Cornflakespackungen etwas gebastelt, haben sich Mutter und Sohn eine "Sportanlage" gebaut und sich feste Regeln für das Zusammenleben aufgestellt.

Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des Jungen, der alles in "in Fernseher" und "in echt" einteilt. "In echt" sind aber nur die wenigen Dinge, die er in Raum findet und die für ihn einmalig sind. Deshalb fehlen den Dingen, wie Bett, Tisch, Teppich, Schrank und Co., auch die Artikel - sie sind eben Bett, Teppich, Tisch oder Schrank - wie Eigennamen. Alles andere ist "in Fernseher", denn im Raum gibt es ein solches Gerät, das zwar nur drei Programme empfängt, und auch dies nur in miserabler Qualität, aber immerhin erfährt Jack daraus über verschiedene Comicfiguren, die genau wie seine Mutter sein Leben bestimmen.

Mit seinem fünften Geburtstag ändert sich jedoch Jacks Leben. Seine Mutter gesteht ihm, dass die Welt nicht allein aus dem Raum besteht, dass sie selbst eine Mom und eine Familie hat, dass draußen Natur, Himmel, Licht, Regen und Co. existieren. Und sie schmiedet nach all den Jahren in ihrem Verlies einen Plan auszubrechen. Nachdem der erste Versuch misslingt, klappt der zweite Anlauf - und sowohl Jack als auch seine Mutter müssen plötzlich mit einem ganz neuen Leben umgehen lernen.

 

So gut der erste Teil des Romans sowohl inhaltlich als auch sprachlich gelungen ist, so sehr fällt er für mich nach der Befreiung/Flucht ab. Die Geschichte wimmelt plötzlich von Unlogiken - allein die Ermittlungsarbeiten nach der Auffindung des verstörten Jungen sind absolut unerklärlich. Auch der Selbstmordversuch der Mutter ist aus dem gesamten Verlauf der Story wenig logisch.

Verständlich ist zwar der Wunsch Jakes, wieder in den bekannten Raum zurückzukehren, weil er durch die vielen vielen neuen Eindrücke gestresst und verunsichert ist, aber die Personen aus seinem Umfeld verhalten sich auch sehr eigenartig.

Insgesamt ist es Emma Donoghue für mich nicht durchgängig gelungen, die Perspektive eines fünfjährigen zu halten. Außerdem beschränkt sie diese Einschränkung in der Gestaltung der Geschichte - denn vielfach wäre doch sinnvoll und angenehm gewesen, etwas aus der Innensicht der Mutter zu erfahren. Warum sie z.B. so lange mit einer Aufklärung ihres Sohnes wartet, warum sie dann aber fast sofort einen Plan hat, der klappt.

"Raum" ist sicherlich ein lesenswertes Buch, das aber nicht durchgängig klasse ist. Allerdings wird es zum Nachdenken anregen und auch für längere Zeit erinnerlich bleibt.