Zwischen den Zeiten

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Der Roman „Raumfahrer“ von Lukas Rietzschel kommt als Hardcoverausgabe daher. Versehen mit einem Schutzumschlag, dessen Gestaltung mir nichts, zum auf 287 Seiten behandelten Thema, sagt. Auch der Titel „Raumfahrer“ lässt eine andere Geschichte erwarten. Der Handlungszeitraum umfasst die 60- ziger Jahre zum Mauerbau in Berlin, die DDR-Zeit bis 89 und die Nachwendezeit. Die Handlung beschreibt die starken Umbrüche, denen die Menschen in der ehemaligen DDR in allen Lebensbereichen, bis tief in die Familien hinein, ausgesetzt waren. Sichtbar für jeden, veränderten sich die Städte und gewohnten Umgebungen. Alles änderte sich zwischen den Zeiten des Alten und des Neuen. Die einen schafften es sich anzupassen, ihren Weg zu finden, andere zerbrachen an den Umbrüchen. Plötzlich galt das, für was sie lebten nichts mehr. Das politische und gesellschaftliche Leben hatte sich völlig geändert. Systemtreue Lebensleistungen, aber auch die der normalen Bevölkerung, waren über Nacht nicht mehr anerkannt, für viele sogar wertlos. Systemnahe wussten nicht mehr wohin. Ihre Ideologie gab es nicht mehr. Für sie brach eine Welt zusammen. Entwurzelt schwebten sie wie Raumfahrer zwischen den Zeiten. „Mutter, Vater. Für Jan waren sie Raumfahrer. Schwebten in einer Zwischenwelt, ihrem Ausgangspunkt entrissen. Während sie schwebten, hatte sich die Welt schon ein Dutzend Mal weitergedreht. Sie sahen dabei zu, streckten die Hände aus. Versuchten, vor- oder zurückzukommen. Hoch, runter. Aber wo sie sich befanden, gab es keine dieser Richtungen im Raum. Und Jan stand auf der Erde und richtete sein Fernglas auf sie. ….Nachkriegszeiten, Nachwendezeiten. Und all die Raumfahrer darin gefangen, kein Vor und kein Zurück“. Genau in dieser Zeit ist die Romanhandlung angesiedelt. Erzählt wird die Geschichte eines jungen Mannes, Jan geboren 1989 in der DDR. Er arbeitet im Krankenhaus, das bald geschlossen werden soll. Gemeinsam mit seinem Vater wohnt er in Kamenz, in einem Einfamilienhaus, unweit der ehemaligen Plattenbauwohnung. Jans Eltern trennten sich. Seine Mutter wurde durch die gesellschaftlichen Veränderungen total aus der Bahn geworfen. Sie bezog eine eigene Wohnung. Sicher hatte auch ihr Alkoholismus einen Anteil an ihrem frühen Tod.

Eines Tages lud ein Patient aus dem Krankenhaus Jan zu sich nach Hause ein. Es war ein alter Mann im Rollstuhl, Thomas Kern. Als Grund gab er an, ihm von seinem Vater, Günter Kern, wichtige Dokumente, die für ihn gedacht waren, übergeben zu wollen. Darin würde er die Erklärung finden, warum und wie beide Familien verbunden sind. Das ihm diese Dokumente Antwort geben würden, woher er kam und was er ist, ahnte Jan da noch nicht. Auch nicht, welche Rolle dabei ein verschwundenes Gemälde von Georg Baselitz spielte. Gleichsam würden sie im verraten, welche Rolle seine Mutter und Günter Kern, der Vater von Thomas, dem alten Mann im Rollstuhl, in der DDR spielten.

Günter Kerns Bruder Georg ging, kurz vom Mauerbau, zum Studium nach Ostberlin. Dann aber wechselte er nach Westberlin, um frei zu leben und seiner Kunst ohne politischen Druck nachzugehen. Georg wollte ihm folgen. Dieser Traum jedoch scheiterte um ein paar Tage, durch den Mauerbau. Doch er gab seine Pläne nie auf. Gesellschaftlich bedingt verschob er sie nur. Durch ein Auslandsstudium versprach er sich die Möglichkeit, die DDR verlassen zu können. So gingen die Jahre ins Land. Er heiratete und sie bekamen einen Sohn, Thomas. Seine Fluchtgedanken blieben der Stasi jedoch nicht verborgen. Sie überwachten seinen Briefverkehr mit Günter. Als dann eines Tages Thomas von einem Wartburgfahrer, der Fahrerflucht begann, zum Krüppel gefahren wurde, unternahm die Polizei nichts, um den Täter zu finden. So ermittelte Günter auf eigene Faust, womit er offensichtlich Unruhe in den Reihen der staatlichen Stellen stiftete. Um ihn zu kontrollieren und seine Ermittlungsbemühungen zu beenden, setzte die Stasi ihr gesamtes Arsenal perfider Mittel ein. Sein geglaubter Freund, ein Anwalt, Jan kann in den Unterlagen lesen, dieser wurde von der Stasi als IM Lessing geführt, sollte ihn beeinflussen, die Ermittlungen einzustellen. Hoffnungslosigkeit sollt ihn zermürben. Seine Wohnung wurde verwanzt. In der Folge lernte er, durch seine Arbeit als Fahrlehrer, die Fahrschülerin Renate kennen und lieben. Sie begannen ein inniges Verhältnis, das Renate nach einer Weile abrupt beendete. Trotz ihrer Schwangerschaft von Günter. Das Kind, ein Junge, wurde 1989 geboren. Als Jan in den Unterlagen las, dass seine Mutter als IM Margarete von der Stasi beauftrag war Günters Leben zu überwachen und zu beeinflussen, war ihm klar, was beide Familien verband.

Der Roman erzählt eine Geschichte aus der jüngsten Vergangenheit, wie es sie realistisch gegeben haben könnte. Flüssig erzählt und gut recherchiert, werden die gesellschaftlichen Veränderungen authentisch beschrieben. Ein Roman, der neutral eine Geschichte erzählt und nicht wertet. Flüssig geschrieben sorgt er für Kurzweil. Ich freue mich schon auf das nächste Buch vom Autor.