Der Fokus geht verloren

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mirko Avatar

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Arno Geiger versteht es, den Leser allein mit seinen Worten einzufangen. Das ist ihm bereits eindrucksvoll mit „Drachenwand“ gelungen, der ersten Begegnung, die ich mit ihm als Autor hatte.
„Reise nach Laredo“ spielt im 16. Jahrhundert in einem Kloster im spanischen Yutes. Dorthin hat sich Karl V. zurückgezogen, um, von Krankheiten gezeichnet, auf sein Ende zu warten. Geiger zieht mich anfänglich, vor allem dadurch in die Geschichte, wie er die Zerrissenheit seines Hauptprotagonisten beschreibt. Es sind einzelne Sätze, mit denen er den Leser auf der Gefühlsebene erreicht. Wie er die Krankheiten von Karl ausmalt, zeugt einerseits von einem tiefen Wissen, zieht aber gleichzeitig nicht herunter. Er schreibt schlichtweg über das Leben.
Und genau das ist meines Erachtens der Extrakt dieses Buchs. Es geht darum zu zeigen, dass auch angesichts verschiedener Krankheitsbilder und letztlich des Todes das Leben noch etwas zu bieten hat. Man kann sich seinem Schicksal ergeben oder es in die Hand nehmen. Man kann aus der Monotonie einer Abwärtsspirale ausbrechen, wenn man bereit ist, sich noch einmal neu auf etwas einzulassen. Das lässt sich auf viele Ebenen herunterbrechen und ist somit ohne Zweifel ein starker Wegweiser für das Leben. Im Buch ist es Karls illegitimer Sohn Geronimo, mit dem Karl nach Laredo aufbricht, und mit dem das eigentliche Abenteuer beginnt.
Leider hat mich die Geschichte an der ein oder anderen Stelle verloren. Dafür, dass es sich insgesamt um einen kurzen Roman handelt, treibt Geiger das Ganze nicht durchgängig voran. Er verliert sich zum Teil in Nebenhandlungen, die der Grundstory nicht dienlich sind. Der Fokus geht verloren und damit auch der Zauber des Romans. Man kann das ein oder andere interpretieren, da Dinge manchmal nur angedeutet werden. An diesen Stellen muss man bereit sein, der Fantasie freien Lauf zu lassen. An diesen Stellen hätte ich mich lieber an die Hand nehmen lassen, um den vorne beschriebenen Extrakt vollständig wirken lassen zu können, zumal sie elementar sind. Und so bleibt für mich leider mehr Enttäuschung als Befriedigung zurück.
Fazit: Geigers Grundidee, die Handlung ins 16. Jahrhundert zu verlegen und an der Figur Karls V. etwas zu erarbeiten, dass man eben so gut ins Hier und Jetzt hätte legen können, ist sehr interessant. Seine Fähigkeit, Sprache lebendig zu machen und damit den Leser für sich einzunehmen, ist ohnehin selbstredend. Dabei ist er mir in diesem Roman aber insgesamt nicht klar genug, nicht fokussiert genug, nicht durchgängig genug, vielleicht auch nicht pointiert genug. Es werden Handlungsstränge eingeflochten, die diese Grundidee nicht fördern, wodurch mir die Geschichte nach und nach aus der Hand geglitten ist. Das ist leider in Summe zu weit von der erzählerischen Kraft in „Drachenwand“ entfernt.