Informativ und anrührend - sehr lesenswert!

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nordlicht Avatar

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Kurzbeschreibung (Quelle: amazon)
[…] In Zeiten todbringender Armut und Ausbeutung muss sich Lenchen Demuth schon früh als Dienstmädchen verdingen. Im Haushalt der Familie Marx wird sie der jungen Ehefrau Jenny zur engen Freundin – und bald auch Vertraute des großen Philosophen Karl Marx. Fasziniert verfolgt sie seine Studien und erkennt bald, dass diese auch mit ihrem eigenen Leben zu tun haben.
Doch dann verliebt sich Lenchen rettungslos in Karl Marx.. Als sie ein Kind erwartet, steht nicht nur ihre Freundschaft mit Jenny, sondern auch das Werk von Marx und Engels auf dem Spiel.
Mit tiefer historischer Kenntnis verweben die Beinert-Schwestern Fakten und Fiktion zu einem einfühlsamen Roman um eine geheime große Liebe.

Autorinnen (Quelle: amazon)
Dr. Claudia Beinert, Jahrgang 1978, ist genauso wie ihre Zwillingsschwester Nadja in Staßfurt geboren und aufgewachsen. Claudia studierte Internationales Management in Magdeburg, arbeitete lange Zeit in der Unternehmensberatung und hatte eine Professur für Finanzmanagement inne. Sie lebt und schreibt in Erfurt und Würzburg.
Nadja Beinert studierte ebenfalls Internationales Management und ist seit mehreren Jahren in der Filmbranche tätig. Die jüngere der Zwillingsschwestern ist in Erfurt zu Hause.
Besuchen Sie die Autorinnen unter:
www.beinertschwestern.de
www.facebook.com/beinertschwestern

Allgemeines
Erschienen am 3. April 2018 bei Knaur als HC mit 480 Seiten
Gliederung: Personenverzeichnis – Sechs Hauptteile mit jeweils mehreren Kapiteln – ausführliches Autorennachwort – Glossar – Bibliographische Hinweise
Ich-Erzählung der Lenchen (Helena) Demuth
Handlungsorte und -zeit: Sankt Wendel, Trier, Brüssel und London, 1829 – 1855

Inhalt
Der Roman schildert die erste Hälfte des Lebens der Helena Demuth (1820 – 1890), die als Dienstmädchen und auch als loyale Freundin im Haushalt von Karl Marx und seiner Frau Jenny lebte.
Aus einfachsten Verhältnissen stammend kommt Lenchen zunächst als Dienstmädchen in das Haus von Jennys Eltern, Ludwig und Caroline von Westphalen, später folgt sie Jenny, als diese Karl Marx heiratet. Das Leben im Haushalt Marx ist von Armut und Unsicherheit geprägt, Karl ist mehr mit seinen Schriften zu seinem revolutionären Gedankengut beschäftigt als mit der finanziellen Absicherung seiner stetig wachsenden Familie. Durch die Verfassung von Artikeln für Zeitschriften gelangt nur unregelmäßig Geld in die Haushaltskasse, die Marxens können nicht mit Geld umgehen und es obliegt Lenchen, die Schulden zu verwalten und aus Wenigem das Bestmögliche zu machen. Ohne die finanzielle Unterstützung durch Friedrich Engels, einen guten Freund der Familie, würde es oft nicht mal für das Nötigste reichen. Nicht nur aufgrund der Armut, sondern auch wegen möglicher Repressalien durch die preußische Obrigkeit muss die Familie Marx mehrfach das Domizil wechseln und auch ins Ausland gehen. Lenchen steht immer treu und loyal an der Seite der Familie, auch als der Egoismus des Hausherrn besonders für Lenchen schwerwiegende Auswirkungen hat.

Beurteilung
Der Roman gibt nicht nur einen gründlichen Einblick in die Gedankenwelt und das Schaffen von Karl Marx, sondern auch in die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse im Europa des 19. Jahrhunderts, dabei wird die Situation von Dienstboten in privaten Haushalten, aber auch die der Arbeiter in den Fabriken beleuchtet. Die von Marx propagierte Idealvorstellung einer Gesellschaft, an der alle Menschen Teilhabe an Wohlstand und Wohlbefinden haben sollen, kann Lenchen gerade aufgrund ihrer eigenen Familiengeschichte bestens nachvollziehen und so wächst ihre Bewunderung für Karl und verwandelt sich in ein Gefühl, das sie in einen Loyalitätskonflikt gegenüber Jenny bringt.
Die historischen Fakten sind gründlich recherchiert, im Nachwort erläutern die Autorinnen, wo und weshalb sie sich ein paar literarische Freiheiten genommen haben. Der Roman besticht durch eine differenzierte Ausgestaltung aller Charaktere, dies wird besonders an der Figur des Karl Marx deutlich, der seiner Familie gegenüber kein zuverlässiger Ernährer ist und seiner „philosophischen Betätigung“ gegenüber dem Gelderwerb Priorität einräumt. Auch in seiner Affäre mit Lenchen, die für diese schwerwiegende Konsequenzen hat, erweist er sich als egozentrisch und verantwortungslos. Andererseits hängt er mit zärtlicher Liebe an seinen Kindern, was ihn sympathisch macht. Auch Jenny und Lenchen werden ausgefeilt charakterisiert.
In ihrer flüssigen und eindrücklichen Erzählweise verstehen es die Autorinnen, das entbehrungsreiche Leben vor allem der nicht mit Einfluss und Geld gesegneten Menschen im 19. Jahrhundert drastisch zu verdeutlichen, vor allem die Kindersterblichkeit der Zeit durch Krankheiten, denen die Medizin noch weitgehend hilflos gegenübersteht, ist bedrückend und geht dem Leser zu Herzen.
Das Zusatzmaterial, ein Stadtplan Londons (Soho um 1850) im vorderen Einband, das Personenverzeichnis und das sehr ausführliche und informative Nachwort der Autorinnen, erleichtern es auch Lesern ohne Vorkenntnisse über Karl Marx und sein Leben, den Überblick zu behalten.
Es ist zu bedauern, dass die Handlung des Romans im Jahr 1855 endet, auch nach der vorsichtigen Wiederannäherung zwischen Jenny und Lenchen hätte es noch viel Berichtenswertes gegeben; angesichts des Sogs, den der Roman ausübt, fällt es schwer, Lenchen und die Familie Marx zu verlassen.

Fazit
Ein ebenso informativer wie anrührender Roman, der Lesern mit Interesse am 19.Jahrhundert und speziell am gesellschaftlichen und politischen Wandel infolge der Industriellen Revolution wärmstens empfohlen werden kann! 4,5 Sterne