Alle Achtung, Birand Bingül! Ich kenne bereits ein vorheriges Buch von ihm – ich glaube, es war sein erstes. „Der Hodscha und die Piepenkötter“, eine eher humorige Abrechnung mit dem Konflikt unter den Religionen. Dieses habe ich sehr gemocht; besonders die teils überzeichnete, aber genau darum überzeugende Darstellung von Personen in offiziellen Funktionen.
Bingül scheint sich als Autor deutlich weiterentwickelt zu haben. Wieder geht es um Menschen in offiziellen Positionen; aber das eher klamaukige Element ist hier vollkommen verschwunden. Eine Konfliktsituation wird gezeichnet, die von Anfang an offen ist. Der Leser weiß nicht mehr als der Protagonist, Mats Holm. Und es gibt auch – zumindest in meinen Augen – erstmal keine eindeutige Identifikationsfigur. Denn während sich Holm und seine Partnerin auf der einen Seite und die Chefs des Pharmakonzerns auf der anderen Seite zum ersten Mal gegenüberstehen, nimmt man als Leser an Gedankenfetzen und inneren Monologen aus beiden (!) Lagern teil. Man beäugt sich gegenseitig misstrauisch, und ist – auch auf beiden Seiten – mit allen Wassern gewaschen. Es ist also lange noch nicht klar, worauf das Ganze hinauslaufen wird. Wer ist hier gut, wer böse? Die Konstellation hat mir also ausnehmend gut gefallen, da sie vielschichtig und uneindeutig ist.
Der Schreibstil bewegt sich auf einem wohltuenden Niveau. Sachlich, klar, um das präzise Detail bemüht. Unaufgeregt, aber dennoch spannend. Auch mit dem gewissen Augenzwinkern – als etwa Holms Partnerin unter dem Business-Kostüm noch ihre Laufhose trägt…
Nur für die Abschnitte, die von dem akut erkrankten Mädchen und seinen Eltern handeln, würde ich bis jetzt einen halben Stern abziehen. Das kommt alles ein klein wenig effekthascherisch daher. Und dass die Eltern auch noch Eheprobleme haben müssen – das wäre jetzt nicht unbedingt nötig gewesen.
Insgesamt aber sehe ich dem Buch mit größtem Wohlwollen entgegen, und würde es sehr gerne testlesen. Alle Achtung, Birand Bingül. Vom Komiker zum Spannungsautor.