Politisch/ historisch bzgl. d. Ukraine interessant, jedoch recht nüchtern erzählt

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lia48 Avatar

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„Die Annexion der Krim bewies, wie fragil die Weltordnung ist und wie schnell Abmachungen zwischen Ländern verworfen werden.“

INHALT:
Als russische Truppen 2014 die ukrainische Grenze erreichen und Putin die Krim annektiert, bucht Victoria einen Flug von Brüssel nach Kiew. Sie kehrt in ihre Heimat zurück, in der sie ihre ersten 15 Lebensjahre verbracht hat und in der ihre Großmutter Valentina noch immer lebt.
Doch „die Sowjetunion, in der ich die ersten dreizehn Jahre meines Lebens verbracht hatte, war verschwunden, und die Ukraine, die an ihre Stelle getreten war, kam mir fremd vor.“
Daher beschließt sie, Zeit mit ihrer Großmutter zu verbringen und die Ukraine kennenzulernen.
Sie möchte endlich der Geschichte ihrer Familie nachgehen. Denn warum beantwortet ihre Großmutter keine Fragen zur Vergangenheit und weshalb ist ihr Großonkel Nikodim „im Kampf für eine freie Ukraine“ in den 1930ern, einfach verschwunden?
Plötzlich beherrscht das Land, das bisher kaum mehr eine Rolle in ihrem Leben gespielt hat, ihre Gedanken. Erinnerungen kommen hoch und hinterlassen Leere in ihr. Sie leidet mit der Ukraine mit.
Russische Internetseiten behaupten, die Ereignisse in der Ukraine seien das Werk von Nazis und Neonazis. Auch Victorias Onkel Wladimir scheint das zu glauben und es kommt zum Konflikt mit seiner Nichte.

„Zum ersten Mal in meinem Leben wurde von mir erwartet, dass ich Partei ergriff und mir einen Stempel aufdrückte, und doch konnte ich weder meine ukrainischen noch meine russischen Wurzeln verleugnen. (…) Das Einzige, was ich wusste, war, dass ich mir die Sowjetunion nicht zurückwünschte.“
Und „je entschlossener ich war, mich auf die Suche nach Nikodims Vergangenheit zu begeben, desto weniger Angst hatte ich vor der Gegenwart.“


MEINUNG:
Wenn der Krieg und das Leid in der Ukraine aktuell die Nachrichten und Diskussionssendungen beherrscht, hat man als Leser*in vielleicht nicht immer die Kraft dazu, sich der vergangenen Geschichte des Landes zu widmen. Und gleichzeitig ist sie wichtig, um die Situation und die Menschen im Jetzt besser zu verstehen.
Daher finde ich es gut, dass es Bücher wie dieses gibt, die diese Themen aufgreifen.
Einige geschichtliche und politische Aspekte fand ich hier ziemlich interessant verpackt. So z. B., wie es dazu kam, dass die Krim annektiert wurde, oder auch die Zeit, als es die Sowjetunion noch gab.

In „Rote Sirenen“ verwebt Victoria Belim, welche Politikwissenschaften studiert hat, die Geschichte der historischen und politischen Entwicklung des Landes, mit der, ihrer ukrainischen Familie. Dabei versucht sie, mehr über einige Familienangehörige herauszufinden, befragt Leute und recherchiert in Archiven.
In ihrem Buch steht daher der politische / historische und biografische Teil deutlich im Vordergrund. Das sollte einem bewusst sein, wenn man sich für die Lektüre entscheidet!
Tatsächlich hatte ich mir etwas mehr von der Familiengeschichte erhofft, da bin ich ehrlich.
„Eine emotionale autobiographische Familiengeschichte“ hat mir der Verlag versprochen. Doch der emotionale Anteil hat mir persönlich leider gefehlt.
Durch die vielen historischen Hintergründe, die Recherchearbeit der Protagonistin und die teilweise recht kühl wirkende Großmutter, erschien mir das Buch eher sachlich und nüchtern. Auch zur Protagonistin konnte ich kaum eine emotionale Verbindung aufbauen, da sie mir zu fern blieb.
Dadurch schwankte mein Leseerlebnis extrem. Mal fehlte mir die emotionale Komponente und dann fand ich Spurensuche und geschichtliche Aspekte dafür wieder interessant.

Zudem waren es mir immer wieder zu viele Wechsel auf der Zeitebene – da hätte ich mir manchmal etwas mehr Struktur gewünscht, auch wenn es die Unruhe der Protagonistin ganz gut widerspiegelt.

Trotzdem habe ich Victoria dafür bewundert, wie sie sich auf die mühsame Suche nach ihrer Familiengeschichte begeben hat, um sich selbst besser zu verstehen. Und um uns die Geschichte ihrer Heimat ein Stück näherzubringen ...

FAZIT: Eine autobiografische Geschichte über eine ukrainische Familie, verwoben mit der historischen und politischen Auseinandersetzung der Ukraine. Wer sich viele Sachinformationen wünscht, könnte mit dem Buch richtig liegen. Ich persönlich fand diese zwar immer wieder interessant, hatte mir jedoch Emotionen und eine Verbindung zur Protagonistin erhofft - mir war es etwas zu nüchtern geschildert. 3-3,5/5 Sterne!