Damsel in Distress

Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern
laleli Avatar

Von

 

In der englischen Literatur gibt es den Begriff der „damsel in distress“, auf Deutsch nur recht unzureichend mit „Fräulein in Nöten“ wiederzugeben: Seit dem Mittelalter gab es diese Geschichten, die von wunderschönen und völlig hilflosen Fräuleins handelten, die von irgendwelchen Unholden, Untieren oder anderen Unbilden bedroht und von einem strahlenden Ritter gerettet wurden.

Eine solche damsel ist Clara, die Heldin von Hauptmanns Roman. Mitte Dreißig, nach Jahren als Society-Mäuschen und Innenarchitektin des eigenen Hauses an der Seite ihres schwer reichen Lebensgefährten und Vaters der gemeinsamen Tochter, erwischt sie eben diesen beim Sex mit einer Jüngeren! Tief gekränkt flüchtet sie mit dem Kind zu ihrer Mutter zurück und fällt damit aus dem gemachten Nest heraus. Allerdings fällt sie recht weich, denn obwohl sie erstaunt feststellen muss, dass sie jetzt kein eigenes Geld mehr hat und auch keine Arbeit in Aussicht ist, wird ihr sofort geholfen: Ihre Mutter, die aus irgendeinem Grund auch nie arbeiten muss und trotzdem Geld hat, kratzt ihre Ersparnisse zusammen und schickt Clara erst einmal nach Mallorca in Urlaub. Auf die Enkeltochter passt die Oma inzwischen natürlich auch gerne auf…

Was nun kommt, ist in seiner Klischeehaftigkeit und Voraussehbarkeit wirklich kaum zu überbieten: Clara findet auf Mallorca natürlich sofort Anschluss an eine Gruppe übergewichtiger Rheinländerinnen, die ihr als treue Freundinnen zur Seite stehen und Trost spenden. Außerdem verliebt sie sich auch nach wenigen Tagen in einen knackigen Mallorciner, der sie nicht nur wunschgemäß am Strand vernascht, sondern sie auch in der Nobeldisco, wo er als Türsteher arbeitet, ganz feudal zum Champagner einladen kann. Sie findet einen Job, bei dem sie reichen Russen ihre Villen einrichtet, verdient sofort ein Batzen Geld, gerät in eine etwas dumme Sache hinein und wird ein wenig erpresst, aber nicht wirklich schlimm, lässt Mutter und Tochter nach Mallorca nachkommen und rächt sich am Schluss noch ein bisschen am untreuen Lebensgefährten.

Auf über 300 Seiten stolpert die naive Clara über die Insel, trinkt andauernd Champagner (den sie nie selbst bezahlen muss), benötigt und bekommt immerzu bei allem Hilfe und macht innerhalb von drei Wochen ihr Glück. Das ist so unglaublich realitätsfremd, abgedroschen und leider auch derart langweilig und uninspiriert geschrieben, dass ich die letzten hundert Seiten nur noch mit zusammengebissenen Zähnen und großer Überwindung lesen konnte.

Ich möchte jetzt gar nicht ausholen, um dieses Buch als eine Beleidigung für jede allein erziehende Frau, die ihr Geld hart verdienen muss und als einen Schlag ins Gesicht der Emanzipation zu vernichten. Es mag ja als Urlaubslektüre geeignet sein, jedenfalls für all diejenigen, die nach zehn Seiten Lektüre am Strand in den wohl verdienten Schlummer sinken und dann ein Taschenbuch als Schattenspender fürs Gesicht brauchen.