Fesselnd

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
taina Avatar

Von

‚Wäre Theresa im Sommer des Jahres 1986/…/mit mir im Bus zurückgekehrt, ich hätte András nicht geheiratet.‘
Der erste Satz des Romans eröffnet eine Lebensgeschichte, die dem nachspürt, was die Ich-Erzählerin Márta durchs Leben geführt hat. War es das falsche Leben? Nun, ungefähr 20 Jahre später, bereitet sie sich auf die Beerdigung ihrer Cousine Theresa vor, die nach einem Schlaganfall plötzlich starb. Im Verlauf des Romans werden die Leser/innen mitgenommen auf Mártas Lebensreise, die mit dem Schicksal der Cousine eng verwoben ist. Gemeinsam verbrachten sie ihre Kindheit an der Südküste des Balaton, erlebten heiße Sommer, ihre ‚glücklichsten Tage‘. Dann zieht Theresa mit ihren Eltern nach Ost-Berlin und Márta bleibt in ihrer Heimat, bis sie 1984 nach ihrem Abitur den alkoholkranken Vater verlässt und zu Theresa fährt. Dort macht sie die Begegnung mit Konstantin, um dessen Person sich fortan das Leben der beiden Cousinen drehen wird. Er, ein Schriftsteller, der seine Schriften in Ost-Berlin nicht veröffentlichen kann, hatte eine traumatische Jugend in einem Jugendwerkhof und in Torgau, die staatlichen Organe konnten seinen Willen nicht brechen, er bringt in seinen Schriften zum Ausdruck, was ihn quält. Er ist charismatisch und lässt es zu, dass die Frauen sich in ihn verlieben, kann jedoch Beziehungen nicht aufrechterhalten. Konstantin, der Beständige, ist beständig in seiner Verschlossenheit und seinem Misstrauen. Sowohl Theresa als auch Márta glauben ihn zu lieben aber ‚was ist Liebe, wenn nicht Projektion?‘ (284).
Der Roman arbeitet mit verschiedenen Zeitebenen, durchsetzt mit Reflexionen über Literatur und Sprache. Diese Schreibart macht es oft nicht leicht, das Erzählte sofort richtig zu verorten, die Fäden wiederaufzunehmen, die sich durch das Geschehen winden. Die politische Situation der Vorwendezeit, die Restriktionen für Schriftsteller, die größere Freiheit in Ungarn, hier kommt vieles zur Sprache, wenn auch nicht vordergründig. Konstantin zerbricht an allem, was unausgesprochen bleiben muss und nach der Wende verharmlost wird.
Márta blickt zurück auf das Leben, das sie damals führte, auf alle Wirrungen und Verstrickungen der Gefühle. Sie erwartet, Konstantin bei Theresas Beisetzung zu sehen, doch dieser kommt nicht, obwohl er sie doch damals für Theresa verlassen hat. Keine der Frauen ist wirklich glücklich geworden. Plötzlich sehnt sich Márta nach dem Leben, das sie hat und bisher nicht zu schätzen wusste.
Das Leben als Suche nach der Liebe – und nach sich selbst. Nikoletta Kiss hat einen intelligenten, fesselnden Roman vorgelegt, der es wert ist, dass man in ihn eintaucht.