Fesselnder Roadtrip durch die Zeit

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waschbaerprinzessin Avatar

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Drei ältere Damen, ein arbeitsloser Schauspieler und eine Leiche zusammen im Auto unterwegs von Wien nach Montenegro – da sind absurde Situationen und zum Schreien komische Diskussionen vorprogrammiert. Doch Vea Kaisers Roman „Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger“ ist weit mehr als ein verrückter Roadtrip. Es ist eine ergreifende Geschichte über eine niederösterreichische Familie, über den Umgang mit Enttäuschungen und Schuldgefühlen und über Zusammenhalt.

Als Schauspieler Lorenz aufgrund fehlender Engagements der Schuldenberg über den Kopf wächst und es mit seiner Beziehung den Bach hinuntergeht sucht er Zuflucht bei seinen drei Tanten Hedi, Mirl und Wetti, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und seinem Onkel Willi. Während Lorenz sich in Selbstmitleid suhlt, geschieht etwas Unerwartetes: Onkel Willi wacht nicht mehr auf. Seine Lebensgefährtin Hedi möchte ihm um jeden Preis seinen letzten Wunsch erfüllen und ihn in seiner Heimat Montenegro begraben, doch leider ist die Überführung teuer und das dafür angesparte Geld hat Hedi in den veganen Online-Shop ihrer Tochter investiert. Also bleibt ihnen nichts anderes übrig, als Willi tiefzukühlen und selbst 1029 Kilometer zu transportieren.

Die Ereignisse in der Gegenwart wechseln sich mit Rückblenden aus der Perspektive der verschiedenen Protagonisten ab, beginnend mit der Kindheit der Tanten und Lorenz‘ Vater auf einem Landgasthof unter russischer Besatzung im Jahr 1953. Verglichen mit dem entbehrungsreichen Leben zu dieser Zeit wirken Lorenz‘ Probleme geradezu lächerlich. Nach und nach entfalten die Familienmitglieder ihre von tragischen Ereignissen geprägten Lebensgeschichten, Geheimnisse kommen ans Licht und man versteht, wie sie sich zu den Personen entwickelt haben, die sie heute sind. Vea Kaiser entwirft für jeden der Charaktere einen eigenen Sprachstil, wodurch man die Familie Prischinger aus ganz verschiedenen Perspektiven sieht. Die Figuren sind so lebendig gestaltet, dass man sofort mit ihnen mitfühlt und sich schließlich sogar in Lorenz hineinversetzen kann, obwohl er zu Beginn des Romans als egozentrischer Kotzbrocken auftritt.

Obwohl die Erlebnisse der Figuren oft so traurig sind, dass einem beinahe die Tränen kommen, erzählt Kaiser ihre Geschichten mit soviel Humor, dass man trotzdem dauernd Lachen muss. Vor allem die Zankereien der Tanten untereinander und ihre Art, Probleme wie die Grenzüberquerung mit einer Leiche auf dem Beifahrersitz zu regeln, sind an Komik kaum zu überbieten. Die verschiedenen Schauplätze von Wien bis Montenegro und die verschiedenen Zeitabschnitte von 1953 bis in die Gegenwart sind so detailreich und schillernd beschrieben, dass man vollständig in sie hineinversetzt wird. Beim Lesen von Vea Kaisers „Rückwärtswalzer“ unternimmt man selbst einen Roadtrip durch sechzig Jahre, durch fünf Länder und durch eine Achterbahn der Gefühle. Und ehe man sich versieht, ist man am Ende der Reise angelangt und wünscht sich, man könnte die Familie Prischinger noch weiter begleiten, weil sie einem so sehr ans Herz gewachsen ist. „Rückwärtswalzer“ ist eine bewegende, spannende, lustige und einfach nur absolut lesenswerte Familiengeschichte.