Leiche im Gepäck

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Gerne empfehle ich diesen Roman zur Lektüre. Die Österreicherin Vea Kaiser ist Spezialistin für skurrile, kluge Geschichten. Nach ihrem Erstling „Blasmusikpop …“ und dem zweiten Roman „Makarionissi“ präsentiert sie nun mit „Rückwärtswalzer“ ihr drittes Werk, und was soll ich sagen, es ist wieder ein gelungenes Werk, ein schwarzhumoriger Familienroman. Sprachlich und stilistisch bewegt sich Kaiser auf hohem Niveau, ich mochte besonders die Austriazismen und man merkt, dass ihr das Studium der Geisteswissenschaften zugute kommt. Wendungen wie „Ist der Patriarch orthodox“ lassen an den Ausspruch „Ist der Papst katholisch“ denken.
Auch inhaltlich kann „Rückwärtswalzer“ überzeugen, obwohl das Element „Roadtrip-mit- Leiche“ in Film und Literatur schon oft strapaziert worden ist, etwa auch im serbischen Film „Frozen Stiff“aus dem Jahr 2002 (Zwei Brüder schmuggeln die Leiche ihres Großvaters im Zug aus Belgrad an den Bestattungsort ). Aber ist nicht Kunst letztendlich Recycling, Sampling. Zitieren ist schliesslich erlaubt, und Kaiser baut Erzählelemente ein, die bewusst an angloamerikanische Schriftsteller- Kollegen denken lassen.

Zum Inhalt:
Die Handlung beginnt zunächst in Wien. Einer der Protagonisten ist Lorenz. Er ist Schauspieler und mit der Miete im Rückstand, es ist fraglich, ob er seine schicke Wohnung in einem angesagten Wiener Bezirk halten können wird, denn seine Freundin weilt im fernen Heidelberg (bei den Piefkes), wo sie an der Universität arbeitet. Abgesehen von der finanziellen Unterstützung fehlt Lorenz auch der emotionale Rückhalt, ohne seine Liebste, Stephi, fühlt er sich wie ein „losgelassener Heliumballon“ ohne Bodenhaftung. Mit der Hoffnung auf ein Mittagessen besucht Lorenz eines Tages Verwandte, die Familie Prischinger, die Tanten Mirl, Hedi und Wetti. Vea Kaisers Roman ist gespickt mit skurrilen Figuren, ganz nebenbei ist es auch ein Buch über Emigration und Immigration, ein Mann, der „Bilanzbuchalter in Bosnien“ war, arbeitet in Österreich als Taxifahrer, vermutlich ist sein Diplom in der neuen Heimat wertlos. Als Lorenz bei der Familie ankommt, holt die bittere Realität ihn in Form von Onkel Willi ein. Dieser stammt aus Montenegro, einer ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik. Seit 40 Jahren lebt Willi „ohne Akzent“ im Alpenstaat und er ist vollständig assimiliert, nur das rollende R verrät seine Herkunft, außerdem ist er ein begeisterter Anhänger des exjugoslawischen Präsidenten (Josip Broz „Marschall“) Tito. Willi, ganz Realist, sagt, dass Lorenz ja an der Schwimmbadkasse jobben könne, was Lorenz jedoch vehement ablehnt. Einmal Künstler, immer Künstler!
Aber auch Willi hat so seine Probleme, er konnte zum Beispiel seine Tochter, eine militante Veganerin, nicht zum Altar führen, und das fuchst ihn ungemein. Die Geschichte der Familie Prischinger wird im Roman bis in die fünfziger Jahre hinein „aufgedröselt“.
Kaisers Roman ist einerseits ein Kommentar zum Zeitgeist und andererseits eine Liebeserklärung an Wien, das vor dem „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland eine blühende Filmindustrie hatte – viele österreichisch – jüdische Künstler, etwa Billy Wilder, fanden eine neue Heimat in den USA, ein neues Betätigungsfeld in Hollywood.
Als Onkel Willi unerwartet stirbt, ist guter Rat teuer – eine Überführung ist teuer, und so macht sich Familie Prischinger sozusagen mit Leiche im Gepäck auf nach Montenegro, um dem Toten seinen letzten Wunsch zu erfüllen, und Lorenz lernt auf der Reise, dass Blut dicker als Wasser ist…