Vier Lebende und ein Tiefgefrorener auf letzter Fahrt

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marapaya Avatar

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Bei Vea Kaiser bin ich absolut nicht objektiv. Ihr Debüt „Blasmusikpop“ hat mich einfach umgehauen und ich finde seitdem alles toll, was sie veröffentlicht. Auch wenn mich die ersten Seiten mit dem Wischiwaschi-Lorenz auf eine harte Probe gestellt haben. Obwohl gar nicht im Dialekt geschrieben, säuselte mir seine selbstmitleidige Stimme im Wiener Schmäh beim Lesen sehr klischeebehaftet durch den Kopf. Unangenehm so in der Fantasie mit meinen eigenen Vorurteilen konfrontiert zu werden. Und dann diese Tanten, die jegliches Maß in Bezug auf einen verantwortungsvollen Konsum von Fleisch verloren haben. Das Braten- und Frittierfett hatte ich über Tage in der Nase. Mit den Blenden in die Vergangenheit söhnte ich mich aber schnell mit allen Figuren aus. Vea Kaiser erzählt klug durchdacht die Geschichte einer Familie und nimmt mich als Leser sehr schnell gefangen. Sie reiht Gegenwart und Vergangenheit aneinander, spielt mit meinen Ahnungen und Vermutungen, hebt sich die Familiengeheimnisse für den richtigen Moment auf und überzeugt mich auf ganzer Linie. Das wahnwitzige Roadmovie ist so überspitzt und durchgeknallt, dass man es unbedingt glauben will, wenn ich auch froh darum bin, nicht mit im Panda sitzen zu müssen. Selbst arktisch tiefgekühlt taut jeglicher Körper unweigerlich auf und setzt Gerüche und organische Flüssigkeiten in Umlauf.
Sehr spannend empfand ich die Gegenüberstellung der verschiedenen Zeiten, vor allem in der Darstellung der Figuren in der jeweiligen. Eigenständig erzählte Episoden zu bestimmten Ereignissen halfen die Figuren im Jetzt und Hier einzuordnen. Besonders berührt hat mich allerdings wie Lorenz durch den durchgeknallten Ausflug in Teile der Familiengeschichte eintauchen konnte und sich so sein Kreisen um die eigene Person etwas relativiert hat. Es macht nachdenklich in Bezug auf die eigene Familie und die vielen unerzählten Geschichten, die sich hinter den Eltern, Großeltern, Tanten und Onkels verbergen. Wer waren meine Eltern, bevor es mich gab, welche Ereignisse haben ihr Leben beeinflusst, was erwarten sie von ihrem zukünftigen Leben, welche Rolle spiele ich darin? Genau so wünsche ich mir Literatur. Geschichten aus dem Leben bleiben in meiner Welt hängen und lüften ein wenig die Blase, in der jeder von uns schwebt.