Wiener Schmäh vom Feinsten

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Als deutscher Tourist in Wien kriegt man wenig vom viel gelobten Schmäh mit, dazu sind die Wiener zu höflich. Man kriegt es höchstens mal in einem Café mit, wenn man sich im Kurzen, Langen, Braunen oder Schwarzen verheddert, dann wird allerhöchstens ganz dezent eine Augenbraue sanft in die Höhe gezogen. Das war’s aber auch schon. Aber wenn man diesen Schmäh genießen will, weshalb soweit verreisen? Ein Spaziergang in die Buchhandlung deines Vertrauens und Vea Kaiser liefert uns den allerfeinsten allerbesten, allerschönsten und allercharmantesten Wiener Schmäh. Die Leseprobe hat mich verzaubert, ich bin auf das Buch gespannt. Das Titelbild ist bewusst verhalten, sozusagen ein Understatement. Aber eine Vea Kaiser braucht keine reißerischen Coverbilder. Ihr Name ist Programm.
Eine Wiener Familie gebildet aus drei Schwestern, ein Ehemann, ein Neffe. Die Töchter der drei Schwestern haben nur kurze Auftritte, ebenso der eine Bruder und der andere Schwager. Sie illustrieren nur, wie sehr die drei Schwestern, die ständig im Streit miteinander liegen, eigentlich zusammenhalten, sich auch wortlos verstehen und im Grunde immer einer Meinung sind. Und dann der Neffe Lorenz Prischinger. Versinkt in Selbstmitleid, kaufsüchtig bis der Gerichtsvollzieher kommt, Schauspieler ohne Engagement, die Serie bei der er hoffte mitzuspielen, wird ohne ihn fortgeführt. Seine Freundin hat ihn verlassen, ist aus Wien fortgezogen, nach Heidelberg, hat einen anderen. Ein Bild des Jammers. Doch als er gebraucht wird, ist er zur Stelle, kutschiert von Wien bis Montenegro die drei Tanten und den Schockgefrorenen Onkel Willi. Denn Onkel Willi ist unerwartet an einem Herzinfarkt gestorben und die drei Schwestern wollen ihm seinen größten Wunsch erfüllen, in Montenegro beerdigt zu werden. Es beginnt eine aberwitzige Reise quer durch mehrere Länder auf dem Balkan, bis nach Montenegro. Der Trip findet mit einem kleinen Fiat Panda statt. Und bitte lasst jetzt das Kopfkino an: Vorne sitzen Lorenz, als Chauffeur, als Beifahrer der blasse und steife Onkel Willi, im Fond zusammengepfercht die drei Tanten, wohlverpackt in Pelzmäntel. Denn natürlich ist die Klimaanlage auf kalt gestellt, denn es ist Hochsommer und Onkel Willi kann in seinem Zustand keine Wärme vertragen.
Wien ist ja das Herz Österreichs. In diesem Roman aber wird deutlich, Wien ist viel mehr als nur die Hauptstadt der kleinen Alpenrepublik. Es war ja auch das Zentrum der K.u.K. Monarchie, und etwas von den vielen Ländern, die Habsburg ausgemacht haben, lebt in Wien und in seinen Bewohnern fort. Pragmatismus, Liebe, Weltoffenheit, Verständnis für die Nöte und Sorgen anderer, Akzeptanz und Schicksalsergebenheit mit der man widrige Umstände hinnimmt und meistert, all dies kombiniert mit einer fantastischen Eleganz, das macht die Wiener aus. Und Vea Kaiser lässt diese Wiener Mentalität vor unseren Augen entstehen. Die drei Schwestern hatten es nicht leicht im Leben. Früh verloren sie einen Bruder, der andere blieb in der Provinz, während Mirl, Hedi und Wetti nach und nach in Wien eintreffen und auch bleiben. Hedi und ihr Mann Willi werden zum Mittelpunkt der Großfamilie, man kommt täglich zusammen. Der Werdegang der drei Schwestern ist nicht einfach, jede von ihnen hat mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Mirl hat zwar gut geheiratet, ist aber in ihrer ehe unzufrieden. Wetti ist autistisch veranlagt, aber für die Menschen, die sie liebt, ist sie bereit bis aufs Blut zu kämpfen. Hedi stellt ihre Küche den Schwestern, Nichten und Neffen zur Verfügung, sie und Willi sind der ruhende Pol in diesem Familienstrudel.

Eine Magierin der Sprache, vermag es Vea Kaiser uns zu bezaubern. Zum vom Sofa lachen ist die Szene in der Lorenz mit den drei Tanten und der dementen Frau Sterbeitz zum Großmarkt fährt, um Rabatte auf Großpackungen zu bekommen. Und am Ende kriegt man Appetit auf Käsekreiner Würste. (Oder schwört ihnen auf ewig ab)

Das Buch ist auf mehreren Ebenen aufgebaut. Erstens, die Haupthandlung sozusagen, die Fahrt von Wien nach Montenegro. Dazwischen dann Erinnerungen und Episoden aus der Kindheit und Jugend der Prischinger Frauen, manche humorvoll, gewitzt, andere ernst bis schmerzvoll. Und irgendwann merkt man, auch wenn unterschiedliche Erzählungsstränge da miteinander verwoben werden, es ist ein einziger großartiger Roman, den man nur ungern aus der Hand legt, wenn der Schlusssatz fällt: „Das Leben ging weiter. Und auch diejenigen, die nicht mehr waren, blieben dabei. Solange man auf sie hörte.“