Erschütterndes und aufrüttelndes Buch

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Am 16. Oktober 2017 wurde die regierungskritische Journalistin und Bloggerin Daphne Caruana Galizia durch eine Autobombe in die Luft gesprengt.
Ihre Söhne Paul, Matthew und Andrew haben nach dem Tod ihrer Mutter deren wichtigste Artikel und Blogbeiträge aus drei Jahrzehnten zusammengetragen und als Buch herausgegeben. Denn weder ihre Darstellungen noch ihre Ermordung sollten ins Vergessen abrutschen.

Malta

Dieser brutale Mord hat Malta für kurze Zeit ins Zentrum der globalen Aufmerksamkeit gerückt. Die meisten kannten die schöne Inselgruppe im Mittelmeer bislang nur als sonniges, geschichtsreiches Touristenziel mit einer ganz speziellen Sprache (die einzige semitische Sprache, die mit lateinischen Buchstaben geschrieben wird).

Doch um die Demokratie im kleinen EU-Land ist es eher schlecht bestellt. Das konservativ-katholische, rückständige Malta ist erst 1964 unabhängig geworden. Doch ein gelungener Start in die Demokratie sieht anders aus. Aktuell macht sich die EU-Kommission immer noch Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit in dem Inselstaat.
Daphne Caruana Galizia hat die schmutzigen Geheimnisse und Verbrechen des Inselstaates öffentlich gemacht. Es sollte ihr das Leben kosten.

Daphne Caruana Galizia

Im patriarchalisch strukturierten Malta konnte die 1964 geborene Daphne Anne Vella erst als Mutter von drei kleinen Kindern das Studium der Archäologie aufnehmen und 1997 abschließen.

Seit 1987 betätigte sich Daphne journalistisch und schrieb für verschiedene Zeitungen und hatte eigene Kolumnen. Ihr Blog „Running Commentary“ gehörte zu den meistgelesenen Blogs im Land. Er diente ihr als Plattform für ihre investigative journalistische Arbeit, die sich oft auch mit den Machenschaften der Regierungspartei bis in die höchsten Positionen beschäftigte. Von Beginn an hat sie, anders als andere Journalisten, ihre Artikel unter ihrem vollen Namen veröffentlicht.

Dass sie als couragierte, groß gewachsene, sehr schöne Frau wagte, öffentlich investigativ tätig zu werden, schien in der patriarchalisch geprägten Politik ganz besonders heftige Reaktionen hervorzurufen. Man deckte sie mit Verleumdungsklagen ein, vergiftete ihre Hunde, übte einen Brandanschlag aus, bedrohte, beschimpfte, unternahm Einschüchterungsversuche.
Zur Zeit ihrer Ermordung hatte sie seit Monaten keinen Zugang mehr zu ihrem Bankkonto. Da sie wegen Berichten über die maltesische Regierung im Streit mit dieser lag, ließ der Wirtschaftsminister diese auf dem Gerichtsweg sperren.

Bis zum Ende blieb sie sich und ihrer Aufgabe treu. : "Schurken, wohin man schaut. Es ist zum Verzweifeln", lautete ihr letzter Blogeintrag

Das Buch

"Sag die Wahrheit, auch wenn deine Stimme zittert" – ist ein Buch, das den unermüdlichen Einsatz einer mutigen Investigativjournalistin aufzeichnet, die wegen ihrer Aufklärungsarbeit immer wieder mit gewaltsamen Anschlägen und Morddrohungen konfrontiert wurde.

Das Vorwort übernimmt der italienische Schriftsteller und Journalist Roberto Saviano. Er hat selber Bücher über die Vernetzung des organisierten Verbrechens mit Politik und Wirtschaft geschrieben.
Zur Einordnung der Artikel in die Zusammenhänge haben Daphnes Söhne mit erläuternden Einleitungen gesorgt. Diese sind immer deutlich erkennbar von den Originaltexten abgesetzt.

Durch rührende familiäre Anekdoten wurde zudem ein lebendiges Bild ihrer Mutter gezeichnet.
An ihren Artikeln erkennt man, wie wichtig Daphne die freie Meinungsäußerung und die Rechte der Frauen waren. Sie entlarvte Frauenverachtung in Gesellschaft und Politik, Zensur und Einschüchterung im journalistischen und gesellschaftlichen Bereich.

Ihre Enthüllungen zu Geldwäsche, Verkauf von EU-Pässen, Korruption, nordkoreanischen Zwangsarbeitern in Malta, konzentrationslagerähnlichen Verhältnissen in der Behandlung von Flüchtlingen und anderen Skandalen kamen in Politik und Wirtschaft Maltas gewiss nicht gut an. Malta ist zum Tummelplatz der dubiosesten internationalen „Geschäftsleute“ und Diktaturen geworden.

Daphnes Schreibstil ist klar, gerade und messerscharf. Sie recherchiert gründlich und schien auf ein gewisses Netzwerk an Informanten zurückgreifen zu können. Ihr gelingt es zu entlarven, enttarnen, aufzudecken und Missstände deutlich beim Namen zu nennen.

Fazit:

Was für ein bewegendes und erschütterndes Werk. Daphne Caruana Galizia schreibt sehr deutlich über die erschreckenden Zustände in ihrem Heimatland. Durch die einführenden Texte ihrer Söhne lassen sich die Bezüge und Hintergründe klar erkennen.

Die Themen sind weit gefächert. Dass Daphne auch einen Blick für die Schönheiten und den kulturellen Reichtum ihrer Heimat hatte und sie wunderbar und anschaulich darstellen konnte, wurde ebenfalls bewiesen. Leider konnte sie sich durch die Gegebenheiten nicht darauf konzentrieren.
Daphne hat für das Aufdecken von Verbrechen in Politik und Wirtschaft in ihrem Heimatland mit dem Leben bezahlt. Ihre Arbeit darf nicht vergessen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen für den Mord irgendwann zur Rechenschaft gezogen werden.

Dieses Buch hält die Erinnerung an sie wach und legt den Finger auf die Wunde. Es öffnet einem die Augen über die Machenschaften in Malta und in anderen Ländern der EU, die alles andere als rechtsstaatlich genannt werden können.

Es ist wichtig, dass Daphne, ihre Enthüllungen und ihr Tod weiterhin im Bewusstsein bleiben, damit sich endlich etwas ändert. Denn bislang wartet man noch vergeblich auf eine Aufarbeitung.
Solche mutigen Journalist*innen wie Daphne haben wir in allen Ländern bitter nötig. Journalist*innen, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen und sich nicht einschüchtern lassen.

Der Regierungswechsel auf Malta hat nämlich nach Daphnes Sohn Matthew Caruana Galizia keine großen politischen Veränderungen gebracht. Mit dem neuen Premier Abela ist zwar ein neues Gesicht aufgetaucht, allerdings hat auch er bislang keinen glaubwürdigen Bruch mit den alten Seilschaften und ihren Methoden wie z.B. Korruption oder Geldwäsche bedeutet.
In Zeiten von Covid-19 lässt sich die Aufarbeitung des Attentats auf allen Ebenen rasch in den Hintergrund rücken.