Die Bezeichnung "Krimi" beschränkt dieses Buch

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
singstar72 Avatar

Von

Ich habe für dieses Buch ungewöhnlich lange gebraucht. In einem ersten Leseversuch hatte ich es nach nicht ganz 100 Seiten beiseite gelegt, weil der Krimi partout nicht beginnen wollte. Doch dann las ich Rezensionen, und wurde eines besseren belehrt. Zum Glück! Denn die Schublade "Kriminalroman" passt hier nicht wirklich.

Bin ich ratlos, suche ich oft nach einem griffigen Adjektiv für ein Buch. Zu diesem Roman fällt mir "unaufdringlich" ein. Alles in dieser Geschichte ist unaufdringlich: der schüchterne Samson, die Liebesgeschichte (die am Ende des Buches gerade einmal beginnt!), und auch der Kriminalanteil. Sehr deutlich gezeichnet ist hingegen der historische Hintergrund, das Leben im Kiew von 1919 - das sich auf erschreckende Weise heutzutage zu wiederholen scheint...

Ich würde es als "Schicksalsroman vor historischem Hintergrund, gewürzt mit einer guten Prise Krimi" bezeichnen. Die Kriminalhandlung dient eigentlich nur dazu, die Lebensumstände von damals noch deutlicher zu beleuchten. Wer war für was eigentlich zuständig? Welchen Sinn hatte der Rechtsweg? Vor wem musste man sich in Acht nehmen, wer war Freund, wer Feind? Hier finde ich auch Samsons Charakter sehr gut gewählt. Denn gerade aufgrund seiner Unerfahrenheit als frischgebackener Ermittler geht er ungewöhnliche Wege. Ich konnte sehr gut mit seinem Vorgesetzten Najden mitfühlen, der sich so manches Mal die Haare gerauft hat!

Toll finde ich die Prise "magischen Realismus", die das Buch durch Samsons abgeschlagenes Ohr erhält! Er platziert es einfach dort, wo er etwas zu hören wünscht. Das kann auch weiter entfernt sein. Eine sehr ironische und vorwegnehmende "Abhöranlage", im wahrsten Sinne des Wortes!

Selten ist mir auch ein Buch begegnet, dass derart unverhohlen darauf hinweist, dass noch weitere Teile folgen werden. Das erklärt auch die Zartheit, die der ganzen Geschichte innewohnt. Ich wette - und hoffe! -, Samson entwickelt sich noch weiter.

Ich würde dieses Buch durchweg empfehlen. Nur nicht an den durchschnittlichen Krimifan. Eher an den Leser von politisch-historischen Romanen, mit einem Minimum an Vorkenntnissen. Sonst wird es verwirrend.