Slawischer Sarkasmus mit mystischem Ohr

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Dieser Krimi hat mir große Freude bereitet, schon dadurch, dass er mal ein anderes Setting hatte - sowohl vom Handlungsort als auch von der Epoche her. Ich persönlich finde den Übergang von Kaiserzeit zu Sozialismus in der Sowjetunion wahnsinnig spannend und genau das beschreibt der Autor hier ganz nebenbei sehr gut. Man lernt in der Schule höchstens was über die großen Ereignisse und Eckdaten, aber hier erlebt man zusammen mit Samson das echte Leben, die Absurditäten des Krieges (z.B. wie schwierig Beerdigungen sind und wie die Menschen dennoch daran festhalten, weil das einfach ein so zentrales Ritual unseres Lebens ist) und der Bürokratie, die schon damals Einzug in das Leben der Menschen hielt. Man lernt, dass nichts an der Zeit glorreich war und jeder nur irgendwie ums Überleben kämpfte - jeder so, wie er konnte.

Die Rolle, die Samsons Ohr im Verlauf der Geschichte spielte, fand ich als Idee sehr originell, auch wenn dadurch das Buch etwas... na ja, ich würde nicht sagen etwas "Mystisches", aber irgendwie etwas Übernatürliches bekam. Ein bisschen in Richtung Magischer Realismus, aber eben nur als ganz kleines Element. Samson als Figur war mir sehr sympathisch, vor allem, dass er in den Beruf als Ermittler nur so reinstolpert und dann auch ganz authentisch dumme Fehler macht - weil er es eben nie gelernt hat! Auch sein unbeholfener Umgang mit Waffen passt da gut rein. Nadjeschda hatte ich mir anders vorgestellt, ich hatte etwas weniger Idealismus erwartet, aber damit fand ich sie als Figur auch irgendwie eine interessante Ergänzung zu Samson, der allem eher kritisch gegenübersteht.

Und schließlich ist da noch der Schreibstil. Ich würde nicht so weit gehen, den Autor auf ein Level mit Bulgakow zu stellen, wie es der Klappentext tut (da bin ich aber auch etwas voreingenommen, Bulgakow ist für mich unantastbar), aber es geht schon in die Richtung. Das Buch hat diesen scharfen und hoffnungslos desillusionierten, aber total subtilen Sarkasmus, den ich nur von russischsprachiger Literatur kenne und einfach nur liebe. Die Übersetzung bringt das auch sehr gut rüber, also auch da gute Arbeit.

Alles in allem ein gutes Buch, wobei mir zum letzten Stern noch ein bisschen mehr Spannung gefehlt hätte. Dennoch empfehlenswert für alle, die mal einen anderen Krimi lesen möchten!