Schamland

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andrea corvo Avatar

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Stefan Selke merkt man seinen Zorn an. Trotz oder gerade wegen seiner offensichtlichen Fähigkeit sich in Menschen hineinzuversetzen. Es gelingt ihm vortrefflich die Lebenssituationen der Betroffenen so zu beschreiben, wie sie sind. Der Leser wird, ob er will oder nicht, mit an den "Interview-Tisch" genommen und nimmt selbst Anteil. Der Autor beschreibt schnörkellos eine Lebenswirklichkeit vor der die Nichtbetroffenen die Augen und Ohren verschließen. Er beschreibt aber auch ein Grundproblem, das schon immer so war und vermutlich auch so bleiben wird. Die Reichen sind oben und die Armen sind unten. Trotzdem halte ich solch ein Buch für wichtig und lesenswert. Schließlich handelt es von der Menschlichkeit und wie unsere Gesellschaft Menschlichkeit definiert und wie selbstverständlich wir zwischenzeitlich mit Not im eigenen Land umgehen.

Die drei Beispielbegegnungen zeigen sehr anschaulich, wie unterschiedlich Menschen mit ihrer Situation umgehen. Die junge Familie, eigentlich die hoffnungsvolle Zukunft unseres Landes, fängt, obwohl sie nichts falsch gemacht hat, am unteren Ende der sozialen Leiter an. Aber der Aufstieg scheint gewiss. Das gibt Hoffnung, ist aber gerade deshalb so beschämend, weil es zeigt wie wir mit unserer zukünftigen Generation umgehen. Aber auch hier gilt, den Reichen wird gegeben, die Armen sollen sehen, wie sie selbst zurecht kommen.
Bei den Eheleuten, sie obwohl schwer krank dennoch schwer rauchend, er Goldkettchen behängt und in der eigenen Mitleidigkeit badend, werden Zustände beschrieben, die tatsächlich genau so anzutreffen sind. Mann/Frau wird bleiben wo sie sind. Da hülfe auch kein kleiner Hitler.
Die nierenkranke Dame zeigt auf sehr anschauliche Weise, dass sie kämpft. Ob sie der ärztlichen Meinung obsiegt wird sich zeigen. Eine Gewinnerinn ist sie jedenfalls.

Ein lesenswertes Buch, das uns die "Signale einer Abwärtsspirale der Menschlichkeit" vor Augen führt und für mich persönlich ein zusätzlicher Beweis, dass "Denken Widerstand gegen die Information" ist. Das Handeln kommt dann meist von selbst. Nicht zuletzt finde ich die Beschreibung der "Ehrenamtlichen Tafelritter" einfach köstlich. Die Beleuchtung der Umtriebigkeit, Beweggründe und äußerliches Auftreten dieser Spezies könnte ein neues Buch füllen.