Schamland

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lunamonique Avatar

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Tafel, Suppenküchen und Sozialkaufhäuser gehören zum normalen Alltagsbild. Sie haben sich langsam über Jahre in die Städte geschlichen. Man ist hoch des Lobes für die Einrichtungen, eben weil sie armen Menschen zusätzliche Versorgung ermöglicht. Aber warum ist das überhaupt notwendig? Warum breitet sich die Armut immer mehr in alle Schichten aus, macht vor ehemals erfolgreichen, gut situierten Menschen genauso wenig Halt wie vor alten Leuten, Kindern, alleinerziehenden Müttern? Die Liste derer, die Unterstützung benötigen ist groß und wird in den nächsten Jahren immer mehr ansteigen. Auf die Idee, soziale Einrichtungen wie die Tafel zu hinterfragen, kommt einfach niemand. Sie tun Gutes und helfen dort, wo es zum Überleben knapp wird. Autor Stefan Selke schafft mit der Frage nach dem Warum eine völlig neue Sichtweise. Neu jedenfalls für die meisten Menschen, die sich nicht näher mit dem Thema befasst haben. Seine Gespräche mit Betroffenen machen deutlich, wie schwer es ist, sich in der Schlange vor der Tafel einzureihen, sich der eigenen Armut zu stellen. Das Gefühl des Versagens wird übermächtig. Die meisten sind unverschuldet in die Lage geraten. Wie gesagt, es kann jeden treffen. Dieser Gedanke macht die Wende in der Gesellschafft deutlich. Die Angst vor Altersarmut, Arbeitslosigkeit, Berufsunfähigkeit beschäftigt viele Menschen. Der Staat sollte auf Auffangnetz dienen, ein Existenzminimum bieten im Fall aller Fälle. Aber kann man von Hartz IV und Grundsicherung wirklich leben? Warum gehen immer mehr Menschen zur Tafel? Weil es eben nicht zum Leben reicht. Tafel und Suppenküche, die eigentlich für Obdachlose gedacht waren, werden für immer mehr Menschen zur notwendigen Institution, zum festen Bestandteil des Alltags. "Schamland" regt zum Nachdenken an und klärt auf. Autor Stefan Selke, Professor an der Hochschule Furtwangen mit dem Lehrgebiet "Gesellschaftlicher Wandel", beschreibt im Prolog sein eigenes Erlebnis, was ihn zum Umdenken veranlasst hat. Wegschauen ist einfach, nur Hinschauen und auf Misstände reagieren kann etwas ändern. Zwanzig Jahre Tafel sind eigentlich zwanzig Jahre zu viel. Normalerweise sollte das Ziel der Tafel sein, sich selbst überflüssig zu machen. Leider wird das Ziel gar nicht erst verfolgt. Wir haben uns an Tafel, Suppenküche, Sozialkaufhäuser gewöhnt. Wäre es nicht viel besser, wenn diese soziale Einrichtungen gar nicht erst nötig wären? Lösungen müssen her. Die Politik ist gefragt. Gerade für Plitiker, die etwas ausrichten könnten, wäre dieses Buch eine tolle Lektüre. Stefan Selke hat sich dem Thema "gesellschaftlicher Wandel" mit viel Leidenschaft verschrieben. Der Anfang des Buches "Die neue soziale Frage" wirkt sprachlich etwas kompliziert und von Informationen überfrachtet. Interessant wird es, als die Betroffenen ins Spiel kommen, über ihr Schicksal reden und später, wenn der Autor das Problem im "Wir" ausdrückt. Manche Aussagen werden wiederholt, trotzdem bietet dieses Buch sehr viel, nämlich einen neuen Blick auf die letzten zwanzig Jahre des Wandels. Vieles geht unbemerkt von statten, umso besser, wenn es Autoren gibt, die darauf aufmerksam machen. Man lernt durch dieses Buch, besser zu beobachten und vieles kritischer zu sehen. Es erfüllt seine Aufgabe, man muss es nur lesen. Ich wünsche diesem Buch, sehr viele Leser und Besprechungen. Es ist nicht perfekt, wie vieles nicht perfekt ist. Aber es steht sehr viel Herzblut dahinter und man mag das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Das Gefühl der Scham zu kennen und zu erleben, kann einen Menschen fertig machen, ihm den Lebensmut und den Grund zum Kämpfen nehmen. Wer das weiß, geht mit Betroffenen sensibler um und bezieht sie ins Leben ein, was selbstverständlich sein sollte. "Schamland" weckt vielfältige Emotionen und vor allen Dingen Betroffenheit. Ist man wirklich die ganze Zeit mit Scheuklappen durchs Leben gegangen? Auf www.aktionsbuendnis20.de kann man sich engagieren, als Person oder Organisation, ideell, aktiv oder finanziell. Der Link lässt sich unter Informationen zum Autor anklicken. Ein sehr treffendes und berührendes Zitat von Stefan Selke: "Während meiner Reise erkannte ich, dass ich den Anspruch auf Objektivität über Bord werden muss, wenn ich meinen Gesprächspartnern gerecht werden wollte. Ich hörte Lebensgeschichten, die sich in aller Unterschiedlichkeit in einem Punkt glichen: Leben ist nicht das, was man erwartet, sondern das, was passiert."