Eine emotionale und durchaus von Metaphern geprägte Reise!

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mikemaximilian Avatar

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„Sind nicht alle zu hassen, die unbeschadet durch diese Welt kommen?“

Familie Mohn, seit unbestimmter Zeit nur noch bestehend aus Vater Adam und den drei Kindern Micha, Linne und Steve, haben ihre geliebte Mutter verloren. Sie versuchen weiterhin festzuhalten an der Mutter Johanne. Die Tagebücher ihrer Mutter lesen sie nicht. Stattdessen bereiten sie diese jeden Abend zu und essen diese. Während die Familie versucht, klarzukommen, wird ihr von Nachbar*innen und dem Traueramt vorgeworfen, dass sie die Trauerarbeit verschleppen würden. Laut der Gesellschaft soll Familie Mohn ihren Blick in die Zukunft richten, schneller trauern und „normal“ weiterleben. Die Familie krallt sich lieber an Erinnerungen und Geschichten, die so nie passiert sind. So werden aus Erinnerungen Geschichten und aus Geschichten werden „Erinnerungen“…

Dieses Buch ist so märchenhaft geschrieben, dass man als Leser*in mehr als einmal fragend innehält und nicht weiß, ob das, was passiert Realität oder Metapher ist und auch wofür die Metapher stehen soll, wird nicht immer direkt klar. Somit weiß man als Leser*in nicht immer, was real ist und wird vom Schreibstil verwirrt. Das kann man als störend wahrnehmen oder auch als Chance, sich mit seinen Gedanken und möglichen Varianten der Handlung auseinanderzusetzen. Das Buch bietet somit auch sehr viel Möglichkeit sich auszutauschen und unterschiedliche Interpretationen zu entwickeln. Dementsprechend fokussiert sich meine Rezension jetzt natürlich auf meine Interpretation und meine Perspektive.

Für mich hatte dieses Buch eine einzigartige märchenhafte und vor allem merkwürdige Stimmung, die ich kaum beschreiben kann. Ich bin mir sicher, dass alle, die dieses Buch gelesen haben, mir da zustimmen werden.
Man versteht nicht so ganz, was die Familie will, bzw. wie sie das erreichen wollen, was sie sich wünschen: Am Liebsten hätten sie ihre Mutter zurück. Da dies aber unmöglich ist, wünscht sich die Familie Trost und Erlösung von dem Schmerz. In ihrer Not verschlingen sie die wahren Geschichten und Erinnerungen der Tagebucheinträge und schreiben stattdessen eigene Geschichten, die so nie stattgefunden haben.

Genau das hat für mich stark wie eine Parallele Jesus Tod und der Erfindung von Geschichten für mich geklungen. Das Buch spricht nie explizit über Religion und wirkt auf keiner Seite besonders religiös. Trotzdem gibt es einige Hinweise auf eine Verbindung. So die christlich geprägten Namen der Eltern „Adam“ und „Johanne“ sowie dem Titel „Schlangen im Garten“, was natürlich auf das Paradies und Adam und Eva anspielen könnte. Für mich aber der wichtigste Aspekt ist, dass Linne wortwörtlich als Geröll bezeichnet wird, dass die Spuren/wahre Identität ihrer Mutter vertuscht oder begräbt. Familie Mohn löscht die historische Johanne fast aus und alles, was übrig bleibt sind erfundene Geschichten, unter denen die wahre Johanne für uns Leser*innen ungreifbar und nicht wie eine reale Persönlichkeit scheint. In den Geschichten heilt und rettet sie Leute, hat Zauberkräfte und repariert zerbrochenes. Für mich (als Atheist) bieten sich da also doch ein paar Gründe zur Annahme, dass diese Parallele der Autorin durchaus bewusst war und sie darauf hätte anspielen können. Aber letztendlich bleibt es natürlich eine Vermutung.

Abseits von dem religiösen Motiv erzählt das Buch die komplexe Gefühlsreise der Familie Mohn und wie es nach dem Tod auf der Erde mit den Hinterbliebenen weitergeht. Dabei schafft es die Autorin, den Emotionen als Hauptmotiv genug Raum zu schaffen. Es wird schnell klar, dass es nicht um einen hochspannenden Roman, sondern viel mehr die realistische Erzählung vom Umgang mit Emotionen geht. Man fühlt sich als lesende Person im Buch schnell so verloren wie die Protagonist*innen sich in ihrer Welt voll Trauer und Schmerz fühlen. Es bietet sich also wirklich viel Gelegenheit um nachzudenken.

Einen für mich wesentlichen Aspekt des Buches macht die Gesellschaftskritik aus. Der Umgang der Gesellschaft mit Familie Mohn sagt viel über uns als Gesellschaft im echten Leben aus. So kritisiert die Autorin hier den Egoismus und die Empathielosigkeit sowie den Leistungsdruck in unserer Gesellschaft. Andere Menschen nehmen sich heraus, darüber zu urteilen wie lange und auf welche Art die Familie trauern darf und stigmatisieren die Familie. Diese Stigmatisierung wird von der Familie Mohn auch erkannt (Ende erstes Drittel). Aber sich davon loszulösen scheint für sie keine Relevanz zu haben. Sie scheinen in ihrer eigenen Welt zu leben und nicht mit der Gesellschaft zu interagieren.

Für mich war es ein unglaublich interessantes und spannendes Buch. Die Charaktere schienen mysteriös und von ihrer Trauer eingenommen. Das Ende beschäftigt mich auch jetzt nach Beenden des Buches noch. „Schlangen im Garten“ ist ein Buch, dass ich sehr gerne gelesen habe und Leuten empfehlen kann, die sich auf eine emotionale märchenhafte Reise begeben wollen. Der Schreibstil ist zunächst gewöhnungsbedürftig, passt jedoch hervorragend zur gesamten merkwürdigen Stimmung.

Als Abschluss empfehle ich allen, die das Buch lesen oder gelesen haben noch den Song „Vom Vergessen“ von „CONNY“. Dieser greift für mich auch einige der im Buch genannten Motive auf.