Ein vielversprechender, meisterhafter Auftakt zur neuen Reihe um den Ermittler Tom Babylon

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jdaizy Avatar

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"Toms Herz schlug als wollte es zerspringen. Er sah zu Bene hinüber, der sich ebenfalls bis auf die Unterhose ausgezogen hatte und probeweise den Fuß in das Kanalwasser steckte. "Scheiße, Mann. Ist das kalt." I...I "Wir hätten das schon viel früher machen sollen", sagte Bene missmutig, "als es noch nicht so arschkalt war." I...I Er zuckte mit den Achseln und stellte auch das zweite Bein ins Wasser. I...I "Bereit?, fragte Bene. Er hatte sich die Brille über die Augen geschoben und versuchte, dreinzuschauen wie sein Lieblingsrapper Coolio, mit seinem Rotschopf sah er allerdings eher aus wie ein dürres Sams auf Tauchgang."


Ich freue mich schon so lange darauf, dass endlich das nächste Buch von Marc Raabe erscheint. Und jetzt halte ich es in den Händen. Es ist von der Aufmachung anders als seine drei Vorgänger. Das Cover ist dunkler, fast düster und das (Taschen-)Buch mit seinen 500 Seiten viel dicker als gewöhnlich. Autor und Titel sind zudem auch haptisch hervorgehoben, was das Buch hochwertig(er) erscheinen lässt. Auf den Klappentexten, also auf den jeweils eingeklappten Enden des Schutzumschlages, finden sich zudem noch Angaben zum Autor und Werbung zu weiteren Büchern von ihm. Was mir super gefällt, ist die große, gut lesbare Schrift und die übersichtliche Kapiteleinteilung. So habe ich mich zu jeder Zeit gut in der Geschichte zurechtgefunden.

Mein Einstieg ins Buch war das Covermotiv, das eine silber-bläulich schimmerte Feder auf tiefschwarzem Grund zeigt. Was hat diese Feder wohl mit dem Titel "Schlüssel 17" zu tun?
Es geht - wie von Marc Raabe gewohnt - gleich im Prolog zur Sache. Man ist sofort gefangen in der Geschichte: eine grausam zugerichtete Leiche im Berliner Dom, drapiert wie in einem makaberen Schauspiel. Um den Hals trägt sie einen Schlüssel indem die Zahl 17 eingeritzt ist. Der erste Fall für Tom Babylon könnte nicht spannender beginnen. Denn hinter genau diesem Schlüssel verbirgt sich eine ergreifende Tragödie über den Verlust seiner kleinen Schwester, die damals vor 20 Jahren mit genau diesem Schlüssel verschwand. Wie hängen das Verschwinden und der Mord zusammen? Wird der Täter weiter morden? Und wird der Ermittler Tom Babylon die Herzen der Leser erobern können?

Ich finde den Start einer neuen Ermittlerreihe immer superspannend. Dem Autor ist es dabei in vieler Hinsicht gelungen mich in der Geschichte zu fesseln. Zum einen überschlagen sich die Ereignisse, so dass man kaum zum Luft holen kommt. Gerade im letzten Drittel konnte (und wollte) ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen, weil ich auf die Auflösung hingefiebert habe. Es kam anders als erwartet und vielleicht hätte ich ein anderes Ende favorisiert. Aber ich bin trotzdem nicht enttäuscht gewesen. Auch die Verbindung zum MfS war mir ein bisschen zu überspitzt und plagativ, was dem Lesen aber keinen Abbruch getan hat.
Was mir zudem gut gefallen hat, sind die örtlichen Gegebenheiten, bei denen man (als Berliner) so vieles wiederentdecken kann. Und auch die Figurenzeichnung ist wirklich sehr gut gelungen. Ob nun Tom Babylon, Jo Morten oder Sita Johanns - sie alle sind menschlich, mit Ecken und Kanten und nicht selten habe ich mich beim Lesen gefragt, wie unmenschlich unsere Welt ist, wie grausam Menschen sein können und das eine schöne Fassade nicht selten nur Schein ist. Die Vergangenheit wird uns alle immer wieder einholen. Man kann sie nicht abschütteln, sie verschwindet nicht einfach über Nacht, wenn man sie über Jahrzehnte totschweigt oder sie zu vergraben versucht. Schmerz, Verlust, Trauer, Auswegslosigkeit sind tiefgreifende Gefühle mit denen der Autor genauso "hart" spielt wie mit Schuld, Wut und Ohnmacht.
Was ich unbedingt noch erwähnen muss, sind die gelungenen und wirklich fesselnden Rückblicke in die Jugend des Ermittlers und die "Ausflüge" in die psychiatrische Privatklinik Höbecke. Manchmal hätte ich am liebsten vorgeblättert, weil die Kapitel so spannend und abrupt aufhörten, dass es kaum auszuhalten war.


Fazit:
Ein wirklich gelungener Start in die neue Ermittlerreihe mit Tom Babylon, die zeigt, dass Angst kein guter Ratgeber ist und die Vergangenheit hinter jeder Ecke lauern kann. Eine Geschichte über Lügen, Verrat, Geheimnisse und alte Schuld, die den Leser zu jeder Zeit fesselt und kaum zu Atem kommen lässt; die aber auch mit sympathischen (und weniger sympathischen) Protagonisten punktet. Mir persönlich ist besonders die Psychologin Sita Johanns im Gedächtnis geblieben, die hoffentlich auch im folgenden Band weiter an Toms Seite ermittleln wird.