Stürmisch? Gegen Ende ja.

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quatschpanda Avatar

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Die Geschichte des Jungen, der von einem Auto angefahren und schwer verletzt liegengelassen wurde, lässt die Journalistin Farah Hafez nicht ruhen. Kein Wunder, denn der Junge war als Mädchen verkleidet, was ein deutlicher Hinweis auf die Einkehr der afghanischen Tradition Baccha Baazi, dem Verkauf von Kindern als Sexsklaven, in die Niederlande sein könnte. Auch die Polizei schaltet sich bald ein, und zusammen entdecken sie Hinweise auf etwas weit größeres, politisch höchst Bedeutsames...

Die Personenkonstellation ist wenig überraschend - eine exotische, gut aussehende Journalistin, die mit Herzblut an den Ermittlungen mitarbeitet, (warum sind bei Kriminalermittlungen nie Menschen beteiligt, die Durchschnittlich aussehen?) und die alte "Good Cop, Bad Cop" Nummer mit Joshua Calvino, dem jungen, hübschen, sympathischen und einfühlsamen Ermittler, und Marouan Diba, der ältere, stinkende Polizist, der definitiv Dreck am Stecken hat. Dazu kommen noch ein paar Chefs, ein paar einflussreiche Russen und eine Verbindung nach Südafrika und zugleich in Farahs Vergangenheit, mit dem Journalistensohn Paul Chapelle.
Ich habe mich zunächst ein wenig schwer mit dem Buch getan. Der Einstieg war interessant und hat neugierig gemacht, aber danach musste ich mich über einen langen Zeitraum eher dazu zwingen, weiterzulesen. Natürlich muss auch ein Thriller nicht auf jeder Seite mit Hochspannung gespickt sein, und eine Geschichte, gerade wenn sie ähnlich komplex wie die vorliegende ist, muss sich natürlich erst entwickeln und aufbauen. Leider wurde aber das Buch erst ab Seite 400 wieder spannend, und hatte erst ab dann die Bezeichnung Thriller verdient. Und 400 Seiten sind halt einfach eine Menge; mehr, als ein durchschnittliches Buch insgesamt hat. Danach wurde es aber, wie gesagt, packender, und die letzten 150 Seiten waren temporeich und spannend. Das Ende wurde relativ offen gelassen; da es sich hier um den Beginn einer Trilogie handelt, macht es auf jeden Fall neugierig auf mehr, und ich glaube, trotz der langen Flaute in Buch eins würde ich die anderen Bände auch lesen wollen, Das liegt vor allem auch an den Charakteren, mit denen man sich irgendwie angefreundet hat und deren Entwicklung man gerne weiterverfolgen will. Laut dem Autor selbst stehen Farah Hafez und Paul Chapelle im Mittelpunkt, wobei ich finde, dass Paul dafür in den ersten beiden Dritteln des Buches viel zu kurz kam und dann auch irgendwie ziemlich plötzlich mittendrin war. Vielleicht hat er ja seine bedeutsameren Auftritte noch in den späteren Büchern vor sich.
Sprachlich, muss ich sagen, hat mich das Buch zu Beginn nicht überzeugt, es wurde aber hintenraus besser. Weniger gefallen hat mir im stilistischen Bereich vor allem die teilweise unnötige Detailliertheit (Farahs Bodylotion ist mir relativ wumpe, wenn mir ein Thriller versprochen wurde) oder die teils komischen Vergleiche und Metaphern. Wobei es auch das erste Buch ist, dass ich gelesen habe, dass aus dem Niederländischen übersetzt wurde. Vielleicht schreiben unsere Nachbarn da einfach anders...
Spannend, aber leider aufgrund der vielen dahinterliegenden Zufälle irgendwie unrealistisch, waren die vielen Überschneidungen bei einem bestimmten Ereignis, wo sich Charaktere trafen und worüber dann aus verschiedenen Sichtweisen erzählt wurde. Dieser Erzählstil wird im hinteren Teil des Buches auf die Spitze getrieben, als bei einem Autounfall plötzlich fast alle bedeutsamen Charaktere des Buches auf einer Stelle zusammentrafen, gaaanz zufällig natürlich. Ich mag diese Erzähltechnik eigentlich (man kennt sie z.B. aus Koeppens "Tauben im Gras"), aber hier war es irgendwie zu auffällig, zu gewollt. Außerdem finde ich die Beschreibungen des Denkens der Charaktere ein bisschen schwierig. Luciuses Charaktere sind alle höchst selbstreflektiert, was ich persönlich für psychologischen Nonsens halte. Da wäre es schlauer gewesen, die Rolle des auktorialen Erzählers richtig einzusetzen, statt eines Ständigen "Sie wurde sich bewusst, dass sie dies tut, weil sie in der Vergangenheit mal das getan hat." Des Weiteren schien Lucius gerne eine Art sexueller Spannung aufbauen zu wollen, die leider häufig im Genre Thriller genutzt wird, aber meiner Meinung nach meistens unnötig ist. Auch hätte der Autor gerne auf die spirituell angehauchten Passagen à la "Da hinten steht mein toter Vater und beantwortet mir Fragen" verzichten können, und stattdessen vielleicht eher auf eine Art "Ich horche in mich hinein und überlege, was Person XY wohl getan oder gesagt hätte" setzen sollen. Aber das ist wie so vieles wohl Geschmacksache.
Zur äußerlichen Gestaltung: Das Cover gefiel mir jedes Mal besser, wenn ich das Buch in die Hand nahm. Der Satz ist auch schön gemacht und durch die Broschierung wirkt das Buch hochwertig. Der Titel ist außergewöhnlich, aber er ist tatsächlich mit dem Inhalt, wenn man ihn kennt, in Verbindung zu bringen, und ist nicht nur ein "cooler" Aufhänger, wie das oft bei Thrillern der Fall ist.
Abschließend lässt sich sagen, dass es sich bei "Schmetterlinge im Sturm" um ein komplex konstruiertes und hintenraus auch sehr spannendes Werk handelt, dass für mich allerdings nicht so einhundertprozentig in die Sparte "Thriller" reinpassen will. Dafür war es passagenweise einfach zu wenig komplex, und die wirklich blutigen Gräueltaten zu wenig im Hintergrund. Trotzdem gebe ich gute 3 Sterne!