Alles nur Einbildung?

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ein.lesewesen Avatar

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Die Geschichte wird uns aus drei verschiedenen Perspektiven, in drei Handlungssträngen zu zwei verschiedenen Zeiten erzählt, die am Ende sauber zusammengeführt werden.

Dröfn, ihr Mann und ein befreundetes Ehepaar lernen den Geologen Haukur bei einer Party kennen. Spontan entschließen sie, sich mit ihm zum isländischen Nationalpark aufzumachen. Es soll zu einem einmaligen Abenteuer werden, endet aber in einer Katastrophe. Denn von Anfang an spielt das Wetter gegen sie und Dröfn bildet sich ein, Stimmen zu hören. Ist es die Extremsituation, die ihrer Wahrnehmung einen Streich spielt? – Dieser Teil findet eine Woche zuvor statt, bevor sich ein Rettungstrupp auf die Suche nach den Vermissten macht.

Jóhanna, die als ehrenamtliche Mitglied in der Mannschaft arbeitet, steht an der Seite ihres Mannes, eines Polizisten in der kleinen Ortschaft. Sie scheint der ganzen Situation nicht gewachsen, leidet noch immer unter Schmerzen nach ihrem Unfall. Auch ihr passieren eigenartige Dinge.

Hjörvar hat sich vor ein paar Monaten auf die abgelegene Radarstation nach Stokksnes versetzen lassen. Er hats nicht so mit Menschen, auch nicht mit seinen zwei erwachsenen Kindern, ist schwermütig und liebt die Einsamkeit. Das einzige Wesen, das er an seiner Seite duldet, ist eine zugelaufene Katze, die ihm die langen Tage auf der Station erträglich macht. Bis er eines Tages glaubt, eine Gestalt vor dem Fenster zu sehen.
Aber was hat es mit dem einzelnen Kinderschuh auf sich, der vor langer Zeit vergraben wurde? Es ist ein schmaler Grat zwischen Einbildung und Realität. Wozu sind Menschen in Ausnahmesituationen fähig?

Es war das erste Buch der Autorin, das ich gelesen habe. Zu Anfang hatte ich so meine Zweifel. Eine Gruppe junger Menschen verschwindet im verschneiten Gebirge, eine einsame Radarstation im Nirgendwo. Hört sich im 1. Moment nach einem oft gelesenen Plot an. Aber letztlich kommt es auf die Umsetzung an.

Der Mystery-Thriller lebt vor allem durch sein schauerliches Setting. Mit jedem Kapitel wird der Schneesturm dichter, die Dunkelheit beklemmender und die Einsamkeit unerträglicher. Verstärkt wird die Atmosphäre durch die unheimlichen Begebenheiten an allen drei Orten, die von Beginn an kein gutes Ende erahnen lassen. Auch wenn das Genre nicht unbedingt in meiner Wohlfühlzone liegt, ist es mir mehr als einmal kalt über den Rücken gelaufen. Vorausschauende Andeutungen und einige gut platzierte Cliffhanger treiben die Spannung an, die im letzten Drittel schier unerträglich war für mich. Gelegentliche Längen, die ich aber nicht bemängeln möchte, dienten dazu, die Atmosphäre zu verdichten. Die Schneestürme, die anhaltende Dunkelheit, die Einsamkeit und die merkwürdigen Ereignisse so auszumalen, dass ich die Kälte irgendwann förmlich spüren konnte.
Wer sich gern gruselt, den Nervenkitzel sucht und gegen eine Spur Mystik nichts einzuwenden hat, ist hier genau richtig.

Yrsa Sigurðardóttir erzählt mit einer schnörkellosen Sprache, großartigen Bildern und gut gezeichneten Charakteren eine wirklich spooky Geschichte.