Atmosphärisch dicht und mysteriös

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
tokall Avatar

Von

Yrsa Sigurdardottir ist ein Name, über den man häufiger stolpert, wenn man Thriller liest. Laut der Zeitung „The Times“ zählt die Isländerin zu den besten Krimiautoren der Welt. Und der Erfolg spricht für sie. Sie ist Autorin vieler Spiegel-Bestseller. Doch kann ihr neuer Thriller „Schnee“ tatsächlich den hohen Erwartungen gerecht werden? Auf diese Frage will ich in dieser Rezension eine Antwort geben, auch wenn mir leider ein Vergleich mit anderen Werken von ihr nicht möglich sein wird, weil „Schnee“ mein erster Thriller von ihr ist.
Was ich als eine Stärke dieses Thrillers bereits herausheben kann, ist die gelungene Beschreibung der Atmosphäre, der Umgebung und der isländischen Landschaft. Während des Lesens wird sehr passend eine düstere, kalte und recht einsame Stimmung erzeugt. Nach meiner Leseerfahrung findet man das in dieser Qualität nicht in jedem Thriller!
Zwei Erzählstränge dominieren die Handlung. In dem einen Erzählstrang geht es um die Suche nach einer verschollenen Gruppe von Wanderern. Hier überzeugt in meinen Augen v.a. die Darstellung der Gruppendynamik zwischen den Mitgliedern, die in eingeschobenen Rückblicken geschildert wird. In dem anderen Strang spielt die Aufdeckung eines Familiengeheimnisses um den eigenbrötlerischen Hjörvar eine wichtige Rolle. Dabei wird sehr gut eine düstere, unheimliche, gruselige und mysteriöse Stimmung erzeugt. Die Autorin beherrscht das Spiel mit den menschlichen Urängsten, als Mittel zur Spannungserzeugung wird oft auf visuelle und akustische Einbildungen zurückgegriffen. Die Figuren sind sich hin und wieder nicht sicher, ob sie halluzinieren oder ob, sie tatsächlich etwas gesehen und gehört haben. Auch das ist gelungen!
Was ich auffällig finde: Beide Handlungsebenen laufen bis zum Ende konsequent parallel zueinander, ohne größere Überschneidungen. Man hat sozusagen zwei Geschichten in einer. Das wird bestimmt nicht jedem zusagen, vor allem wenn man erwartet, dass es Berührungspunkte und Verbindungen zwischen den Perspektivwechseln gibt. Das hat mich schon überrascht, auch wenn es zugleich einmal etwas anderes ist.
Noch etwas Positives: Beide Handlungsstränge werden sinnvoll und plausibel abgeschlossen. Und bei der Lektüre entstehen auch jede Menge offene Fragen, auf die man als Leser:in eine Antwort sucht. Das erzeugt Neugier und treibt die Handlung voran.
Trotz der vielen positiven Aspekte kann ich dem Thriller aber keine fünf Sterne geben. Ich komme auf die Eingangsfrage zurück: Kann der Thriller den hohen Erwartungen gerecht werden? Nach meinem Dafürhalten würde sagen: eingeschränkt. So habe ich die Schilderung der Suche nach den vermissten Wanderern als recht langatmig und detailliert empfunden. Hier hätte ich eine Handlungsstraffung gut gefunden. Grundsätzlich ist das erzählerische Tempo auch eher gemächlich. Das muss man mögen. Wer auf schnelle, dynamische Thriller steht, der wird hier etwas enttäuscht sein.

Fazit: Ein Thriller mit einer gelungenen atmosphärischen Beschreibung und zwei Handlungssträngen, die spannend erzählt und plausibel aufgelöst werden. Ich habe lediglich eine stärkere Verzahnung zwischen den Perspektiven und ein höheres Erzähltempo erwartet. Einige Passagen empfand ich als zu langatmig. Deshalb vergebe ich „nur“ 4 Sterne.