Verschollen im Schnee

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miss_cooper Avatar

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Als im neunten Jahrhundert die ersten Siedler vor der Küste Islands anlegten, sahen sie sich einer übermächtigen und urgewaltigen Landschaft gegenüber. Schroffe Klippen an denen der eisige Wind gewaltige Wellen brach, Strände aus feinem pechschwarzen Sand, tiefen Vulkankratern und erkalteten Lavafeldern. Sie bewunderten die heißen Geysire aus deren Inneren enorme Wasserfontänen ausgestoßen wurden und die malmende Gletscher, deren spiegelglatte eisige Oberfläche in der Sonne blau glitzerte. Doch Island hatte auch seine sanfte Seite. Sie erblickten saftig grüne Wiesen, malerische, weich geschwungene Berge und großflächige Birkenwälder. Die Wälder allerdings blieben nicht lange, sie wurden gerodet, verbaut, verkauft und haben sich nie davon erholt. Zurück gelassen wurde eine wilde unwirtliche Landschaft. Weite einsame Ebenen aus Geröll und rauen Felsen, an denen sich das Moos so hartnäckig klammert. Und zwischendrin robuste Sträucher, die vehement versuchen den Polarstürmen zu trotzen. Im Winter allerdings kann man nur noch erahnen, was sich unter der dicken Schneedecke verbergen könnte. Denn nun liegt die Dunkelheit über Island, begleitet von Unmengen Schnee und einer Wetterlage, die so unbeständig, wie die Laune eines dreijährigen Kindes ist.

In diesem Gebiet, dem Herz Islands, sucht ein Team der freiwilligen Rettungswacht Höfn nach einer Gruppe verschwundener Wanderer, die so leichtsinnig waren sich mitten im Winter in diese unbewohnte und schneeverwehte Wildnis zu wagen. Jóhanna ist eine von ihnen. Zusammen mit Þórir, einem eigens aus Reykjavik eingeflogenen Suchexperten durchkämmen sie ein kleines Gebiet des Hochlandes. In einer der zahlreichen Wanderhütten finden sie zwar nicht die verschollene Gruppe, aber etwas anderes erregt ihre Aufmerksamkeit. Überall in der Hütte liegen Kleidungsstücke verteilt. Winterjacken, Hosen, Wanderstiefel. Wenn diese Sachen den Vermissten gehörten, kämen sie nicht weit, denn wer würde schon unbekleidet, bei diesen Temperaturen vor die Tür gehen? Ein wenig abseits der Hütte machen die beiden einen entsetzlichen Fund. Die Leiche einer Frau liegt unter dem Schnee begraben und sie ist bis auf die Unterwäsche nackt.

„Überall blendend weißer unberührter Schnee. Nichts Lebendiges war zu sehen, kein Wunder, denn an diesem öden Ort konnten mitten im tiefsten Winter nur wenige Tiere überleben.“

Eine Woche zuvor kann Dröfn immer noch nicht glauben sich wirklich auf dieses waghalsige Abenteuer eingelassen zu haben. Normalerweise führt sie mit ihrem Mann Tjörvi ein beneidenswertes Leben im Luxus. Sie gehen in die teuersten Lokale, besuchen die exklusivsten Events, sind schick und angesagt. Und trotzdem wird ihnen das alles schnell langweilig. Genau aus diesem Grund beschließen sie Haukur, den sie kurz zuvor auf einer Party kennengelernt haben, auf seiner Expedition in das Naturschutzgebiet Lónsöræfi zu begleiten. Sie wollen etwas extremes erleben, etwas von dem sie im Nachhinein in den schillerndsten Farben berichten können. Also überreden sie Haukur ihn begleiten zu dürfen, doch nicht nur sie, sondern auch ihre beiden besten Freunde, Bjólfur und Agnes sollen mitkommen. Und Haukur willigt widerstrebend ein. Die erste Etappe ihrer Wanderung ist anstrengend und Dröfn ist erleichtert als sie endlich die Hütte erreichen, in der sie die Nacht verbringen wollen. Doch irgendetwas stimmt nicht mit der Hütte, oder mit ihr selbst. Schon den ganzen Weg über kam es ihr vor, als würden sie verfolgt werden, aber immer wenn sie sich umdrehte, war da niemand. Und auch jetzt in der Hütte hat sie das Gefühl das jemand bei ihnen ist. Ein Schatten in der Zimmerecke, der leise murmelt.

Auch Hjórvar, der in einer abgelegenen Radarstation angestellt ist, hat den Eindruck das seine Nerven ihm einen Streich spielen. Immer wieder wird ihm durch ein Klingeln signalisiert das jemand vor dem großen Haupttor steht, doch wenn er durch die Überwachungskameras schaut, steht dort niemand. Und dennoch vernimmt er durch die Gegensprechanlage ganz deutlich eine Kinderstimme. Aber das ist unmöglich, denn weder die Torklingel, noch die Gegensprechanlage sind an das Stromnetz angeschlossen. Von seinem Kollegen erfährt Hjórvar, dass auch sein Vorgänger von solchen Ereignissen erzählte und dieser sich mit der Zeit immer mehr in die Sache hineinsteigerte. Als dieser bei einem Unfall ums leben kam, glaubt niemand so recht daran das es wirklich nur ein Unfall war.

Yrsa Sigurdardóttir hat es mir anfangs etwas schwer gemacht mich auf ihren Thriller „Schnee“ einzulassen. Die eigentlich atemberaubende Kulisse Islands hätte meines Erachtens mehr Aufmerksamkeit verdient und auch mit den drei Protagonisten Jóhanna, Dröfn und Hjörvar, die ich auf ihrem Weg begleitete, wurde ich nicht richtig warm. Ihre Gedanken und Emotionen wurden zwar beschrieben, aber nur wenig davon kam wirklich bei mir an. Mir war auch lange schleierhaft, was sie eigentlich miteinander verbindet und wie die losen Fäden der Handlungsstränge zusammenfinden könnten. Doch trotz der unterkühlten Beziehung zu den Hauptcharakteren, gelang es Yrsa Sigurdardóttir im laufe des Buches eine beklemmende Spannung aufzubauen. Durch die knappen Kapitel die jeweils mit einem Cliffhanger endeten, entstanden immer wieder kleine Spannungsbögen, die mir nicht selten einen kalten Schauer über den Rücken jagten. Diese gut konstruierten Passagen, ihre unkomplizierte Ausdrucksform und das geisterhaft Unheimliche fesselten mich an „Schnee“. Nachdem ich lange im trüben gefischt habe, wurde mir dann doch endlich klar in welche Richtung diese Geschichte schließlich laufen würde und das hat mich etwas ernüchtert. Genau wie die Schlussszene selbst, die mir ohne Vorbereitung einfach vor die Nase gesetzt wurde. Nichts wurde dabei wirklich aufgeklärt. Im Gegenteil, ich hatte nun mehr Fragen als zuvor. Auf den letzten Seiten lief zwar alles zusammen, aber irgendwie auch nicht. Es wurde erklärt, Wie, Wann und Wer. Allerdings hat es für mich keinen Sinn ergeben, war teilweise auch völlig aus dem Kontext gerissen und das wichtigste wurde einfach vergessen, Wieso? Alles in allem war es für mich doch ein recht enttäuschendes Leseabenteuer.